Der Letzte unter den Großen des Jahrgangs 1927

Heute wäre Erich Walter achtzig Jahre alt geworden

oe
Stuttgart, 30/12/2007

Wuppertal, war da mal was vor Pina Bausch? Immerhin zehn Jahre Erich Walter – mit 41 Ballettpremieren (inklusive der durchchoreografierten Monteverdi-Opernproduktionen), gefolgt von neunzehn Jahren an der Deutschen Oper am Rhein, bis zu seinem allzu frühen Tod 1983. Doch weder Wuppertal noch Düsseldorf-Duisburg erinnern daran, dass auch er zum großen Choreografen-Jahrgang 1927 gehörte und heute seinen achtzigsten Geburtstag hätte feiern können.

1954 kam er, in Fürth geboren, nach seinen tänzerischen Lehr- und Wanderjahren via Nürnberg, Göttingen und Wiesbaden zur Spielzeit 1954/55 als Ballettmeister (noch gab es keine Ballettdirektoren) nach Wuppertal – genauso alt wie Uwe Scholz, als der 1985 Chef in Zürich wurde. Das ist also gut ein halbes Jahrhundert her. Damals standen wir alle (na ja – ich und ein paar andere) ganz im Banne Balanchines und des New York City Ballet. Und träumten allen Ernstes davon, dass in Wuppertal eine Art Wuppertal City Ballet heranwachsen könne.

Das hatte damit zu tun, dass Walter ein reiner Neoklassiker von exquisiter Musikalität war. Mit einem hohen musikalischen Anspruch, dessen Götter Strawinsky, Bartók und Monteverdi hießen. Und dass Wuppertal einen ausgesprochen ballettaufgeschlossenen Intendanten hatte: Grischa Barfuss – sozusagen einen Wuppertaler Lincoln Kirstein. Und dass Walter schon früh seinen Freund fand, der zu seinem Lebensgefährten wurde: Heinrich Wendel, als Bühnenbildner und Projektionsdesigner ein allumfassend gebildeter Kulturhistoriker. Zusammen bildeten die beiden ein Team (bis an ihr Lebensende), das dann später sogar ein paar Jahre lang gemeinsam als Inszenatoren fungierte. Von der Mitte der fünfziger Jahre fuhren wir zu jeder Ballettpremiere nach Wuppertal, wo das Ballett noch im Saalbau am Bahnhof auftrat.

Was war das für eine Zeit, mit den Tänzerinnen Denise Laumer, Hella Troester, Helga Held und Inge Koch und den Tänzern Günter Mertins, Egon Pinnau und Heiner Schunke, um nur die bekanntesten zu nennen (übrigens unter den Gruppentänzern auch ein Germinal Casado und ein Heinz Manniegel)! Und im Publikum, immer dabei, der Herr Gerhard (an dessen Vornamen ich mich nicht erinnere, ein ballettbesessener Industrieller mit einem Schmiss im Gesicht), und, unvermeidlich Alphons Silbermann aus Köln. Und da schwelgten wir dann in den Walter-Wendel-Kreationen zu Musik von Strawinsky, Bartók, Henze, Fortner, Schönberg und Monteverdi. Und fuhren zu den Walter-Produktionen nach Hannover (wo ihn eine enge Freundschaft mit Yvonne Georgi verband), nach Berlin, München und Wien (wo Karajan die Premiere seines Balletts zu Gustav Holsts „Planeten“ dirigierte).

Und dann übersiedelten sie mit Barfuss als Intendant (und Rolf Trouwborst als Chefdramaturg) an die Deutsche Oper am Rhein – und setzten ihre Wuppertaler Arbeit auf gleicher Basis, aber im doppelt vergrößerten Maßstab fort, jetzt auch mit den Klassikern, für die Ruzena Mazalova aus Prag herbeizitiert wurde, mit Joan Cadzow, Tilly Söffing, Edel von Rothe, Peter Breuer, Paolo Bortoluzzi und Falco Kapuste als Stars – und auch mit anderen Bühnenbildner-Gästen wie Heinz Mack, Emil Schumacher und Günther Uecker sowie mit Gastchoreografen von Balanchine, Nijinska und Massine bis zu van Manen, Cranko, Tetley und Seregi.

Dreißig Jahre Ballett unter Erich Walter! Ein Wuppertal City Ballet wurde so wenig daraus wie ein Düsseldorf/Duisburg City Ballet. Und heute, ein knappes Vierteljahrhundert nach seinem Tod? Wer erinnert sich noch an ihn? In seiner Ansprache zur Eröffnung der Erich-Walter-Ausstellung 1993 im Düsseldorfer Theatermuseum nannte ihn Helmut Scheier – leider auch er inzwischen der Ballettpublizistik abhandengekommen – „einen Glücksfall für den Neubeginn des deutschen Balletts nach dem Zweiten Weltkrieg ... Erich Walters Arbeit war nie so spektakulär wie John Crankos Stuttgarter Ballettwunder ... nie so genial-umstürzlerisch wie Pina Bausch, die seit 1973 das Wuppertaler Tanztheater schuf. Aber diese Arbeit war zu einem frühen Zeitpunkt auf den Plan getreten, der Tradition verpflichtet und dennoch innovativ, formgebend und offen für jede Anregung auf dem weiten Feld der musikalischen Moderne und der darstellenden Künste. Und es war eine ehrliche Arbeit!“ Ein Ballett-Kärrner vor dem Herrn in schwierigen Nachkriegsjahren!
Autor: oe, der Ihnen, Ihrer Familie und Ihren Freunden alles Gute für 2008 wünscht (und für den Rest des Jahrhunderts)!

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