Die Ministerin sollte den Ballettdirektor ernennen

Gerhard Brunner über die Ballett-Situation in Wien

Wien, 28/11/2007

Angesichts der künstlerisch nicht überzeugenden Ballett-Produktionen in der Staats- und Volksoper sprach Andrea Amort mit Gerhard Brunner. Der ehemalige Ballettchef der Staatsoper (von 1976 bis 1990) brachte die Choreografen-Elite nach Wien. Der designierte neue Wiener Opernchef, Dominique Meyer (derzeit Theatre des Champs Elysees in Paris) hat sich zur Zukunft des Balletts in Wien (ab der Spielzeit 2010) noch nicht geäußert. Der Vertrag des aktuellen Ballettdirektors Gyula Harangozó läuft bis 2010.


Amort: Herr Doktor Brunner, welchen Stellenwert soll ein Ballett-Ensemble an einem Opernhaus haben? 

Brunner: Wenn man die Wiener Oper betritt, vom Ring her, dann liest man wie in einer Kirche das Programm. Auf beiden Seiten sind Tafeln angebracht: opera und ballet mit einem t. Es gibt da keine Über- oder Unterordnung, aber dass es ein Nebeneinander in Unabhängigkeit gibt, scheint klar. Dahin sind immerhin Schritte gesetzt worden. Ich war damals Spartendirektor und habe 99 Prozent von dem, was ich erreichen wollte, erreicht, unter drei Direktoren. Ein Intendant oder eine Intendantin für das Ballett kann natürlich noch mehr erreichen. Der erste Satz aber muss lauten: Diese Unabhängigkeit muss gewahrt bleiben.

Das heißt, dass die derzeit erreichte Autonomie in künstlerischer und budgetärer Hinsicht nicht aufgegeben werden darf, ja vielmehr ausgebaut werden müsste. Und nicht ein Operndirektor über den Ballettdirektor bestimmt. 

Es sollte durchaus ein kontrapunktisches Miteinander sein, nie ein Gegeneinander. Ich gehe davon aus, dass der Ballettdirektor oder die Ballettdirektorin, eine gestandene künstlerische Persönlichkeit, auch einen musikalischen Anspruch hat. Sie oder er muss wissen, dass da ein Orchester ist, das gefordert werden will. Zugleich gibt es aber Bedürfnisse beim Ballett, die gewährleistet sein müssen. Etwa ein Repertoire-Dirigent, der von 25 Abenden zehn Ballett-Abende dirigiert und den Akzent schon setzt, wenn die Tänzer noch in der Luft sind. Das geht nicht. Es sollte schon in der Hand der Ballettdirektion sein, wer dirigiert. Es muss möglich sein, dass man ein anspruchsvolles Programm baut aus Partituren des 20. Jahrhunderts, auch des 21. Jahrhunderts. Ich hätte den Ehrgeiz, wenn Herr Welser-Möst am Pult steht, ihn zu überzeugen, dass er Sacre du Printemps dirigiert. Aber auch da sollte es ein Zueinander geben.

Kann ein Operndirektor auch Ballettdirektor sein? 

Das kann es als Personalunion durchaus geben. Aber ich kenne kaum Leute, die beides, also Oper und Ballett, unabhängig voneinander schauen können. Das ist deswegen schwierig, da es ein Denken verlangt, das sich unabhängig zu machen weiß. Die meisten Operndirektoren tragen Musikbegriffe in die Ballettdiskussion hinein. Und sind nicht fähig, sich beim Denken über Tanz von Musikbegriffen zu lösen. Die Tanzwelt ist aus der Qualität von Choreografie zu definieren und nicht musikalisch. Und wenn man diese Trennlinie nicht zieht, kann man nicht beide Seiten, Oper und Ballett, denken.

Aber wer ernennt den Ballettdirektor? Hierzulande passiert das ja als stille Entscheidung des Operndirektors. Anderswo gibt es Berufungskommissionen. 

Ich sehe das als Minister-Auftrag. Ich muss sagen, dass eine Person, die ich nicht kannte, nämlich Claudia Schmied, mit der Ernennung des neuen Operndirektors sich über Nacht zur Ministerin gemacht hat. Sie könnte jetzt auch sagen, ich mache den nächsten Schritt und ernenne auch den Ballettdirektor. In dem Moment, wo sie das nicht tut, ist das schon die Unterordnung des Balletts. Und wenn es Intendanz heißt, ist es Ministersache. Was für ein Zeichen das wäre, die Aufwertung einer ganzen Kunstform! Es geht hier schon um die Ausstattung einer Position mit richtiger Macht und nicht mit geliehener.

Was zeichnet den Ballettdirektor aus? 

Das gesamte Unabhängigkeitsdenken des Balletts basiert natürlich auf einer Wertschätzung der Choreografie. Nur wer Choreografie zu lesen versteht, kann eine Qualität entwickeln für den Posten des Ballettdirektors. Der Ballettdirektor oder die Direktorin muss eine Expertin für Choreografie sein. Das tragen Tänzer nicht automatisch mit sich. Sie sind meistens ausgebildet für eine Aufgabe und tanzen auch den größten Mist mit Begeisterung. Die Aufgeklärteren, die das Glück hatten mit einem Meister zu arbeiten, beginnen zu begreifen wo die Unterschiede liegen zwischen Choreografie und hingeschluderter tänzerischer Sequenz. Choreografische Qualität muss gefordert werden. 

Wie baut man ein Repertoire auf? 

Die Wiener Oper wird immer ein Haus sein, das nicht nur Museum sein darf sondern auch Werkstatt. Warum braucht man das: Man braucht ein Museum, damit man nicht nur die eigenen Tänzer erziehen kann zu einer Qualität von Choreografie, sondern auch das Publikum und darum muss es auch Repertoire geben, mit dem man einen Standard erreicht. Es kann sein, dass jemand, der selbst nicht künstlerisch tätig ist auf Grund seiner Kenntnisse der Tanzgeschichte ein Repertoire aufbaut und das in Variationen fortträgt, das wäre die eine Hälfte. Die andere Hälfte aber muss von heute sein. Es geht um ein Spannungsverhältnis von Geschichte und Erneuerung. Außer Frage muss auch stehen, was das für ein Tanz ist. Ich glaube, dass das Wiener Ballett kein Ensemble ist, dass sich für tanztheatralische Experimente eignet. Es hat eine klassische Basis und ist dadurch definiert. 

Jetzt hört man ja bereits, dass für Wien ein Nurejew-Schüler gesucht wird? Rudolf Nurejew war als Tänzer aber auch als Direktor in jeder Hinsicht eine Ausnahme. Die Verbindung zur Pariser Oper und seiner Direktion war für Wien sehr wichtig. 

Nurejew-Schüler gibt es eigentlich keine. Was ich von ihm gelernt habe, war die totale Fokussierung auf ein Ziel. Dass dann alles abfällt, was unwichtig ist. Aber erzogen hat er im Grunde niemanden. Es gibt einen Kreis, der sich ihm nahe fühlt, eine Gruppe von Persönlichkeiten. Was eng aus dem Dunstkreis von Nurejew kommt, kann von vornherein nicht schlecht sein. Nurejew hatte ein erstaunliches gutes Auge für Choreografie. Er hat das selbst nur zum Teil umgesetzt, aber immerhin doch mit ein paar bleibenden Werken. Aber wie neugierig der Mann gewesen ist, wie er allem Neuen nachgegangen ist, das war unglaublich.

Paris ist ja immer noch Vorbild für die meisten europäischen Ensembles. 

Dort regiert ja auch keine Nurejew-Schülerin aber eine wunderbare Ballett-Direktorin, nämlich Brigitte Lefèvre, die ich ganz hoch schätze. Eine der besten Figuren in der ganzen Tanzwelt, die auch den Mut besitzt mit neuen Leuten etwas zu tun. 

In Wien bespielt das Ballett derzeit die Staatsoper und die Volksoper. War diese Zusammenlegung sinnvoll? 

Ich glaube, wenn es eine gut geführte klassische Kompanie in Wien gibt, ist das genug. Aber: In der Staatsoper wird es pro Spielzeit kaum mehr als 50, 60 Ballettabende geben können, weil die Oper mit ihrer Wertschätzung 240 Abende beansprucht. Das aber sind zu wenig Abende, um eine Kompanie zu betreiben. Man muss schon in die Nähe von 100 Vorstellungen kommen, um auf einer internationalen Ebene reüssieren zu können. Es ist das österreichische Nationalballett und ich glaube, dass man dieses verteidigen sollte. Es gilt schon, sich da genau umzusehen und genau zu schauen, wie ein Repertoire gebaut wird. Choreografen wie Mats Ek, Nacho Duato oder Lightfoot-Leon haben nie mit den Wienern gearbeitet. 

Welcher künstlerische Anspruch muss da gestellt werden? 

In der ersten Liga mitzuspielen. Wir müssen das anstreben. Natürlich hat Paris eine singuläre Position, seit Nurejews Direktion liegt es weit vor London, und es auch nicht leicht, das einzuholen. Aber die Idee muss schon die sein, in der Liga mitzuspielen. Natürlich muss es sich auch rechnen und das lässt sich auch bewerkstelligen, da es gewisse Startvorteile hat und kostengünstiger ist als Oper. Das ständige Ensemble, das richtig eingesetzt wird, rechnet sich auch. Wenn man ein Ensemble hat, dann muss man es optimal ausnützen. Wenn es nicht genützt wird, ist es viel zu teuer. 

Wie sehen Sie Wien als Tanzstadt? 

In Wien fehlt derzeit die große Bandbreite des Tanzes, die uns mit den Festwochen-Biennalen von 82 bis 98, zuletzt in Kooperation mit ImPulsTanz, doch geglückt war. Es gibt viel zeitgenössischen Tanz aber viel zu wenig klassisches, neoklassisches Ballett oder auch ethnische und andere Tanzformen. Die Gewichtung stimmt nicht.

Weitere Infos zu Gerhard Brunner: www.werktreue.com 

Eine Diskussion zum Thema gibt es im Koeglerjournal

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