Crankos Erbe
Das Stuttgarter Ballett trauert um Dieter Graefe
Selten so gelacht bei den „Jungen Choreografen“. Der alljährliche Abend der Noverre-Gesellschaft im Schauspielhaus bot wie immer ein paar Enttäuschungen und viele Entdeckungen, zehn kurze Stücke zwischen reiner Klassik und mysteriöser Moderne, choreografiert durchweg zu aktueller Musik von Pop über zeitgenössische Klassik bis zu elektronischen Klängen.
Neben sechs Stuttgarter Tänzern waren auch vier Gäste von anderen Kompanien dabei. Paul Julius aus Schwerin hatte bei seiner Übung im Forsythe-Stil noch deutlich zu viel Respekt vor dem Können der Stuttgarter Tänzer. Auch das Solo von Stéphen Delattre aus Hannover, der wie in den letzten Jahren nicht ohne esoterischen Begleittext auszukommen scheint, wirkte hauptsächlich durch Katja Wünsches Ausdrucksstärke. David Williams vom Braunschweiger Ballett brachte einen schön fließenden Pas de deux für seine zwei Tänzerkollegen Like Vanbiervliet und Tiberiu Voicu mit, dessen angenehme Bewegungen man aber mindestens so häufig gesehen hatte wie die thematisierte Beziehungskiste. Peter Leung von Het Nationale Ballet schließlich betitelte sein Stück sehr passend mit „Fragments“; den musikalischen Gegensatz zwischen Swing und hineingeschnittenem Stimmengewirr setzte er choreografisch nicht um. Wahrscheinlich bleibt nur die skurrile Putzfrau in Erinnerung, die neben einem ergrauten Paar immer wieder über die Szene kreuzte.
Auch die Stuttgarter Tänzer übten sich in durchaus unterschiedlichen Stilen. Der junge Corpstänzer Charles Berry etwa blieb trotz kleiner Showelemente so urklassisch, dass man ständig auf den ironischen Bruch wartete, während das atmosphärische, spannende Stück des Eleven Mariusz Czochrowski vermutlich die Psychoanalyse der drei Hexen aus Shakespeares „Macbeth“ zeigte. „Why are we here“ fragte Sebastian Geiger, ebenfalls Eleve der Kompanie: Keine Frage, um sein hochinteressantes Duo für zwei elegante, schnelle Lara Crofts zu sehen, das erstaunliche Bewegungsideen mit einem kühlen Laufsteg-Chic kombinierte. Demis Volpi tanzt im Corps de ballet und choreografiert in einem grotesk-huschenden Stil, der sozusagen das Händeflattern von Marco Goecke auf die Füße überträgt - nervös klöppeln in „swish“ Spitzenschuhe auf den Boden, gefährlich schlittern die Tänzerinnen mit der Spitze voraus durch den Raum. Wenngleich dem fragmentarisch gereihten Werk ein wenig der Spannungsbogen fehlte, hat der junge Argentinier eine faszinierende Bewegungsästhetik entwickelt.
Eric Gauthier dürfte als Erfinder des Ballettkabaretts in die Geschichte eingehen. Der zukünftige Tanzchef des Theaterhauses hat Jason Reilly nach „Ballet 101“ noch ein komisches Solo auf den Leib choreografiert: in „Air Guitar“ vergnügt sich der Erste Solist zunächst pantomimisch und dann tanzend mit vier imaginären Gitarren, die auf vier leeren Gitarrenständern stehen. Nacheinander zupft und tanzt er klassisch (possierlich-balletös hinter einem Schmetterling herhuschend), er schuhplattelt zur Country-Gitarre, steppt spanische Zapateados und legt schließlich à la Jimi Hendrix los, wobei das exzentrische Wummern auf der E-Gitarre leider ins Auge geht - der Brüller des Abends. Ein bisschen ausgefeilter dürfte die Parodie noch sein, und Reilly fehlt leider auch die letzte feine Ironie dafür, aber Gauthiers Ballettsatiren sind eine herrliche Bereicherung für dieses oft viel zu ernste Genre.
Bridget Breiner, die Dresdner Ballerina und leider nur noch Teilzeit-Stuttgarterin, entwickelt sich mit ihrem dritten Stück zur einer festen choreografischen Größe. Ihr komisches Quartett „Sirs“ bebildert eine Folk-Ballade mit großartiger Ironie, die sich noch in den kleinsten Bewegungen tummelt. Mit einer sehr plastischen Erfindungsgabe verankert die Choreografin ihre Figuren, drei lakonische Machos und eine Dulcinea auf Spitze, irgendwo zwischen Don Quijote und John Wayne - ein heiteres und liebevoll-skurriles Stück, von Linda Waasdorp und den drei leicht verwirrten Rittern Evan McKie, Marijn Rademaker und Damiano Pettenella mit feinstem Humor getanzt. Mit Eric Gauthier und Bridget Breiner hat der Stuttgarter Ballettdirektor Reid Anderson bereits zwei der Noverre-Absolventen nächste Spielzeit ins Hauptprogramm der Kompanie übernommen.
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