Sparsam ausgeloteter Tanz

Im Tacheles parkt Régine Chopinot Bewegung in der „Garage“

Berlin, 07/12/2007

Seit drei Jahrzehnten gehört sie zu Frankreichs wichtigen Choreografinnen im zeitgenössischen Tanz. Ihn hat die Mittfünfzigerin leidenschaftlich mit entwickeln helfen, hat sein Auf und Ab begleitet. Seit 1986 leitet sie mit dem Centre Chorégraphique National in La Rochelle das größte Forschungslabor eines dem modernen Tanz zugeneigten Landes. Bis 1993 entwarf der Modestar Jean Paul Gaultier für ein Dezennium die Kostüme für all ihre Stücke. Inzwischen gehört Régine Chopinot zu den konsequenten Verweigerern eines ihrer Meinung nach sich zunehmend kommerzialisierenden Tanzes. Nicht nur jenes Labor verlässt sie demnächst, auch in ihren Kreationen geht sie neue, die Bewegung radikal reduzierende Wege. Im Tacheles stellt sie vor, was sie darunter versteht und was bislang, außer in französischen Spielstätten, auch in Nicaragua und Brasilien gezeigt wurde. „Garage“ nennt sie ein Tanzsolo, das an jenen Ort erinnert, in dem man vorübergehend parkt, was eigentlich für andere Zwecke gedacht ist. Im Fall Chopinot sind das Bewegungsfragmente, die möglicherweise einer späteren Nutzung harren.

Am Anfang umläuft die Tänzerin, barfuß und knabenhaft schmal, mit blondem Kurzhaar und schwarzen Jeans, die leere, lediglich links durch eine tief hängende Stange begrenzte Szene. Melancholisch klimpernd setzt, leicht außermittig platziert, Gianni-Grégory Fornet seine E-Gitarre in Gang, die nichts Tanzbares produziert, sich zu so lauten wie groben Akkorden steigern wird. Sinnierend verharrt die Tänzerin im Raum, grüßt die bröckelnde Wand mit dem V-Zeichen, nimmt statuarische Posen ein. Drei von Maryse Gautier installierte rechteckige Scheinwerfer hüllen den Raum in ein oszillierendes Halbdunkel, das häufig die Bewegung zudeckt. Chopinot bestaunt den Bühnenraum, verdreht plastisch den Körper, zelebriert Gewichtsverlagerung, Balance. Dann stützt sie die Arme auf den Oberschenkeln ab, wartet lange auf die nächsten Bewegungseinfälle. Sparsam entquellen sie ihrer Fantasie, fast zögernd entledigt sie sich ihrer in den Raum hinein. Nur die unbekleideten Extremitäten leuchten bisweilen im Dunkel auf, wenn sie wie leblos in der Schwebe liegt.

Immer mehr wird sie Teil der Finsternis, bis Fornet sein Spiel stoppt, das Keyboard einschaltet: vom leisen Brummton bis zum Dröhnklang, dem er schließlich noch Rhythmus und E-Gitarre überlagert. Chopinot entweicht in den unausgeleuchteten Hintergrund, tanzt dort mehr ahn- als sichtbar, lehnt sich mehrfach dem Musiker an, streckt sich wohlig unter dem Lärmdom auf den Boden. Je mehr das Gedröhn den Raum ausspannt, das Licht aufglüht, desto weniger Platz scheint für den Tanz zu sein. Verloren irrt die Solistin umher, erstarrt, geht abrupt ab. Der Musiker folgt ihr. Weg, Umweg hin zu neuen Erkenntnissen oder schlichtweg trotziger Irrweg - Chopinots Zukunft wird es zeigen.


Nochmals 6.-9., 12.-16., 19.-21.12., jeweils 20 Uhr, Tacheles, Oranienburger Str. 54-56, Mitte, Kartentelefon 280 96 123

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