Repertoire mit internationalen Gästen

„Romeo“ absitzen und „Giselle“ feiern

St. Petersburg, 17/04/2007

Die Abende des 14. und 15. April machten den Auftakt zu der nun schon traditionellen Teilnahme internationaler Stars an Produktionen des Mariinsky Theaters, die in der Regel aus London, Paris, New York oder Moskau kommen. Der „Romeo und Julia“-Choreografie von Leonid Lavrovski verdanken wir zwar mit Sergei Prokofievs Komposition eine der besten Ballettmusiken überhaupt, aber die Produktion aus dem Jahr 1940 ist ballastreich und beschwerlich. Wie genial hat doch Cranko die Partitur schon in der Eingangsszene gekürzt, die hier überreich daherkommt und doch beim Schlichtungsversuch des Dukes von Verona nicht entfernt die uns bekannte Majestät erreicht!

Nach Julias Auftrittsszene ist die Bühne zum Bankett mit schweren Tischen und Leuchtern zugestellt und viel Personal schreitet gespreizt. Die beiden Gäste dieser Vorstellung kamen vom Londoner Royal Ballet. Alina Cojucaru war von Beginn an ein vitaler Wirbelwind mit rasanten Pirouetten und federleichten Grand Jetés, die nach ihrem Tanz mit dem etwas hölzernen Paris (Sergei Popov) und einer Variation mit schön gedrehten Arabesken zur Kindlichkeit erst eine größere Dimension hinzugewann, als sie Romeo ohne Maske erblickte. Johan Kobborg als ihr Partner war weitgehend unauffällig und gegenüber der Virtuosität und Statur von Leonid Sarafanov, einem Mercutio, der als tänzerisch spektakulärer Lausbub alle seine Aktionen souverän in die Situation einband, auf verlorenem Posten.

Ein Pas de deux von Julias Freundin (Xenia Ostreikovskaya) mit einem Verehrer am Schluss des Balles war schöner als das, was man bis dahin vom Hauptpaar sah. Im Balkon-Pas de deux sprang Kobborg allerdings u. a. eine rasante Manege, doch alle seine Sprünge schienen flach, die große Linie fand sich nicht, weil auch bei Cojucaru bei so viel Virtuosität keine Zeit blieb, sie zu entwickeln. Auch wenn ihre Leichtigkeit und Schnelligkeit spektakulär sind und sie sehr anmutig spielte, wirkte das alles wie in Eile, atmete nicht und berührte nur in seltenen Momenten.

Das Faschingsfest bot das bunte Bild einer riesigen Volksmenge und viel virtuosen Leerlauf, die Hochzeit strahlte nichts aus und die Gefechte zwischen Mercutio, Tybalt und Romeo mündeten bei Tybalts Abtransport in eine Knallcharge der Eltern Capulet zu unerträglich lärmendem Orchester. Sowjetische Gewaltdramatik! Man kann sich anstelle dieser Szenenfolge ohne bindende Kraft nur nach der von Cranko auf das Wesentliche reduzierten, dramaturgisch klar polierten Fassung sehnen, nach seinen genial gesetzten Gegensätzen von heiteren Szenen und ergreifender Tragik, in denen manche Paare ein durchgängig packendes Drama tanzen. In Lavrovskys Choreografie aber werden die Arabesken überstrapaziert und geraten, wie auch viele tänzerische Posen, zu schönen Einzelheiten. Einzig Romeos Rückkehr an Julias großdimensioniertes Grab geriet dank Kobborgs kraftvoller Hebung eindrucksvoll.

Zu „Giselle“, mit dem das Mariinsky Ballett in den letzten Märztagen in München gastierte, ist nicht mehr viel zu sagen. Für das St. Petersburger Festival war an der Seite Olesya Novikovas der ebenfalls noch junge Matthieu Ganio, Danseur Etoile am Ballett der Pariser Oper, als Gast eingeladen. Novikova tanzte ihre Variationen brillant, immer der Situation und dem Partner zugewandt und scheint die Inkarnation der idealen Giselle zu sein, jung und voller Liebreiz. Er ist ein hochgewachsener Modellathlet mit ausgeprägt schöner Linie und sehr deutlichem Spiel, manchmal ein wenig fremd neben Giselle, doch das ist der Preis für kurze Proben beim Gastieren.

Den klassischen Bauern Pas de deux tanzte mit hohem Gewinn gegenüber dem Münchner Gastspiel Ekaterina Osmolkina an der Seite des schon im Prinzregententheater überzeugenden Vladimir Shklyarov. Eine ideale Besetzung, denn Osmolkina ist Novikova nur in der Musikalität ein wenig unterlegen und darin, dass sie ihre Anmut nicht so natürlich, sondern etwas zu süßlich zeigt. Das perfekte Corps de ballet bot schon im ersten Akt, wenn alle warmen Farmen ineinanderspielen und nur Giselle in ihrem klaren weiß-blauen Kleid heraussticht, einen wunderschönen Anblick. Das Spiel Olesya Novikovas ist nicht nur in der Szene von Albrechts Entlarvung beseelt: So viel Unschuld, fassungslos vor den Scherben ihrer Liebe! Künstlerisch mag Ulyana Lopatkina stärker sein, doch emotional ergreifender ist Novikova – dazu eine strahlende Schönheit. Matthieu Ganio ist dagegen eher ein kühler Tänzer, der zwar durch hoch gesprungene Batterien beeindruckt, dennoch aber hinter der Virtuosität der besten St. Petersburger Tänzer zurückbleibt.

Der zweite Akt, in dem er klug sichtbar machte, dass Giselle nur in seiner Erinnerung lebendig ist, wurde vom perfekten Zusammenspiel Myrthas (Viktoria Tereshkina) mit den Kleinen Wilis und dem Corps de ballet getragen, die die Erinnerung an männliche Missetat beschwören, sowie der konzentrierten Hingabe Novikovas mit dem Gnade suchenden Blick in ihren großen Augen.

Resumee der beiden ersten Abende: Die eingeladenen Stargäste brachten für die St. Petersburger Kompanie keinen merklichen Qualitätszuwachs.


Besprochene Vorstellungen: 14. und 15. April 2007

Kommentare

Noch keine Beiträge