Vorbildlich

Das Buch „Zeitsprung – Vier Generationen tanzen vier Jahrezeiten“

Lüneburg, 05/11/2007

„Rhythm is it“, das gefilmte Tanzprojekt der Berliner Philharmoniker mit Simon Rattle und Choreograph Royston Maldoom zu Strawinskys „Sacre“, löste eine Lawine aus. Endlich, sagten die, denen der Tanz schon immer wichtig genug war, in die Schulen, zu Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen getragen zu werden. Nur ein Strohfeuer sei es ohne die notwendige Nachhaltigkeit, unkten Kritikaster. Zurzeit scheint’s, die ersteren behielten Recht, denn an vielen Orten sprossen und sprießen ähnliche Vorhaben aus dem Boden. Und das ist grundsätzlich gut so und überfällig. Erkannt hatte das Gregor Zöllig, in der zweiten Spielzeit Chef des Bielefelder Tanztheater-Ensembles, schon lange vorher. Zu seiner Osnabrücker Zeit knüpfte er bereits Kontakte nach außen in die Region, zu Tanzinteressierten. Anschließend an ihre professionelle Produktion „Vier Jahreszeiten“ am Jahresanfang 2007 stellten er und sein engagiertes Ensemble mit „Zeitsprung – Vier Generationen tanzen die vier Jahreszeiten“ ihr bisher ehrgeizigstes Projekt auf die Beine. Dazu holten sie Royston Maldoom, inzwischen der Guru der freien Tanzszene (obwohl er das wohl am wenigsten sein will), dem im letzten Stadium der Proben die Aufgabe zufiel, den vierteiligen Zyklus miteinander durch Übergänge zu verschmelzen. Denn Frühling, Sommer, Herbst und Winter wurden quasi isoliert gruppenweise choreographisch geschaffen. Die beiden höchst erfolgreichen Aufführungen im Mai 2007, bei denen 120 Mitwirkende auf der Bühne des Bielefelder Theaters auftraten, bildeten zugleich den Abschluss des Projekts und den Anfang der Planung zu einem neuen, das wiederum generationsübergreifend konzipiert ist. Und wiederum ein Thema aufgreift, dem sich das Tanzensemble vorher allein widmet: „Struwwelpeter“.

Nachhaltig festgehalten ist die Produktion in einem liebevoll gestalteten Buch mit ausgezeichneten Fotos (Ursula Kaufmann, Cornelia Suhan), auf denen die Stimmungen greifbar werden, die jede Gruppe und die Aufführung atmosphärisch dicht einfangen: ein Genuss. Der Text lebt, neben der akribischen Schilderung des Werdegangs, von vielen Zitaten und beschriebenen Reaktionen der Beteiligten. Tagebuchaufzeichnungen von Teilnehmer*innen, Anmerkungen der Ensemblemitglieder, die als Choreograph*innen und Lehrer*innen mit den Gruppen arbeiteten, der Lehrer*innen und anderer werden dazu herangezogen. „Das ist etwas, das die Seele berührt“, sagt etwa Ulrich Thomas, Lehrer an der Hauptschule Steinhagen, über den Tanz, der an seiner Schule seit dreißig Jahren (!) eine Rolle spielt. Seine Kolleginnen Heike Müller und Kerstin Woelki betreuten mit ihm die Gruppe der Hauptschule: 20 Mädchen und fünf Jungen (14 bis 18 Jahre alt) tanzen den Sommer. Die Jungs bräuchten viel Selbstbewusstsein, um z.B. mit dem Gerede von Schwulsein umzugehen, meint Müller.

Auch in den drei weiteren Gruppen herrscht ein Mädchen- oder Frauenüberhang, Männer trauen sich eben weniger. Die meisten (elf) machen bei den 32 Senioren mit. Die ältesten Teilnehmer (55 bis 78 Jahre) stellen den Frühling dar, sind also gegen den Strich besetzt. Den Winter haben die 35 Grundschulkinder (30 Mädchen, 5 Jungen) sich vorgenommen, den Herbst stellen die 31 der Elterngeneration dar (26 Frauen, fünf Männer, Ende 20 bis Mitte 50). Alle 120 Mitwirkenden sind in Porträtfotos abgebildet. Zusammen mit der Organisationsplanung wird das sinnliche Buch zur praktischen Anleitung, selbst ein solch kühnes Vorhaben anzupacken. Nach sehr harter Arbeit, professionell angepackt, könnte am Ende die gleiche Belohnung stehen wie beim Zeitsprung: „Und alle wollen in Zukunft weitertanzen“.

 

„Zeitsprung – Vier Generationen tanzen vier Jahrezeiten“ Ein Projekt des Bielefelder Tanztheaters. Text: Marion Meier, Fotos: Ursula Kaufmann, Cornelia Suhan. Verlag J. Kamphausen, Bielefeld 2007, 144 Seiten, Engl. Broschur, Preis: 19.80 Euro

 

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