Erst letzthin habe ich entdeckt, dass Tanz auch Spaß machen kann

Die Armenierin Maida Kasarian über ihre Julia in Henning Paars „Romeo und Julia“

München, 07/06/2008

Shakespeares berühmtes Veroneser Liebespaar von 1595 auf allen Kanälen. Nachdem gerade im Bayerischen Staatsschauspiel „Romeo und Julia“ Premiere hatte, die Bayerische Theaterakademie mit einem Tanzstück von Katja Wachter am 28. Juni nachzieht, bringt Tanzchef Hans Henning Paar am 12. Juni seine überarbeitete Version mit der Prokofjew-Partitur im Münchner Gärtnerplatztheater zur Premiere. Romeo tanzt Mauro de Candia. Julia ist die 29jährige Armenierin Maida Kasarian, die diese Rolle 2005 in Paars Braunschweiger Ensemble kreierte. Es dirigiert Andreas Kowalewitz.

Frau Kasarian, gibt es das noch in der modernen westlichen Gesellschaft, diese ganz große Liebe auf den ersten Blick einerseits und dann einen solch tragischen Ausgang?

Maida Kasarian: Die Tragik erwächst ja aus dem Streit zwischen den Capulets und den Montagues. Das gibt es immer und überall, wenn zwei Familien so verfeindet sind. Aber dass Romeo und Julia in ihrer Liebe noch so unschuldig sind... Man wird in unserer Gesellschaft doch schon sehr früh mit der Sexualität konfrontiert, viel zu früh. Das Gefühlsleben kann sich dann oft nicht richtig entwickeln.

Shakespeares Julia, vielleicht nicht so aufgeklärt wie die heutigen Mädchen, soll aber schon mit ihren erst 14 Jahren mit Paris verheiratet werden...

Maida Kasarian: In Eriwan sicher nicht, aber auf den Dörfern gibt es das bei uns teilweise immer noch, dass zwei benachbarte Familien schon bei der Geburt der Kinder vereinbaren, dass die mal heiraten sollen. Und die Kinder müssen das akzeptieren.

In John Crankos und Kenneth MacMillans Ballett-Versionen von 1962 und 1965, den anerkannt besten, ist Julia von Natur aus ein eher anschmiegsames Mädchen. Ihre Auflehnung entwickelt sich erst aus ihrer Notlage. Und Ihre Julia?

Maida Kasarian: Die kommt aus einer ziemlich gestörten Familie: die Mutter hat viel zu früh geheiratet. Und zwar einen Mann, den sie nicht liebt. Julia möchte nicht so enden wie die Mutter. Sie wehrt sich, will ja auch nicht auf diesen Ball gehen, in dem von der Mutter gebrachten schönen Kleid.

Und diese Verweigerung...

Maida Kasarian: kommt schon durch die Choreografie zum Ausdruck. Die Schritte sind aggressiver, trotziger. Aber natürlich muss man das auch empfinden, muss sich mit der Rolle auch beschäftigen, um sie echt zu spielen. Auf jeden Fall ist die Julia meine Traumrolle, schon weil die Musik so fantastisch ist. Die ganze Geschichte wird ja schon mit der Musik erzählt. Und wenn sie mit der Choreografie zusammenkommt, ist das so intensiv. Ich kriege an manchen Stellen immer noch Gänsehaut.

Und Liebe privat?

Maida Kasarian: Ich habe erst vor kurzem geheiratet. Mein Mann ist Georgier. Von der Kultur her sind die Georgier uns ähnlich. Das ist für mich schon sehr wichtig... weil ich ja keine Heimat habe. Ferien in Armenien ja, wegen der Luft, den Bergen. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, dort zu leben. Meine Eltern haben sich übrigens ein Haus in Kaliningrad gekauft, um näher an mir und meiner Schwester - sie lebt auch hier - zu sein. Wir haben nur noch wenige Verwandte in Armenien. Und egal, wie sich das Land entwickelt hat, es gibt gewisse gesellschaftliche Konventionen. Gerade als Frau kann man nicht frei über alles sprechen. Man fällt dann einfach auf. Hier fühle ich mich natürlich freier, trotzdem ist das nicht meine Heimat. Und mit meinem Mann habe ich da einfach etwas gefunden, wie einen Halt. Er ist auch schon lange in Deutschland, lebt ähnlich wie ich zwischen zwei Kulturen.

Sie wurden in Eriwan nach dem russischen System klassisch ausgebildet. Konnten die Cranko- und MacMillan-Versionen Sie inspirieren oder Leonid Lawrowskys sowjetische Uraufführungs-Choreografie von 1938, die ja auch als Film mit der berühmten Galina Ulanowa existiert?

Maida Kasarian: Das ist für mich eine völlig andere Welt. Die Schritte sind da ja bereits durch das klassische Vokabular vorgegeben, und obendrein kennt der Ballettzuschauer alle diese Schritte schon. Ich habe eigentlich erst im modernen Ballett gemerkt, wie viel man von seinem eigenen Charakter und seinen Emotionen auf der Bühne zeigen kann... Ja, auch von den Bewegungen her. Man muss nicht ganz genau die Schritte einhalten. Gerade Henning Paar gibt einem die Freiheit, auch von sich etwas zu geben. Inspirierend für mich war der „Romeo und Julia“-Film von Zefirelli. Die beiden Protagonisten haben dieses Pure, dieses Reine so toll rübergebracht. Das ist wirklich die große Herausforderung, dieses „allererste Mal“ so pur zu spielen. Man ist auch nicht wirklich fähig zu flirten. Man weiß ja gar nicht, was mit einem passiert.

Warum sind Sie eigentlich Tänzerin geworden?

Maida Kasarian: Ich war ein sehr schwieriges Kind. Wenn ich zu etwas gezwungen wurde, habe ich mich gesperrt. Mein Vater war Tonmeister, hat mit berühmten Dirigenten gearbeitet. Also habe ich Klavier gelernt. Gespielt habe ich aber nur, wenn ich Lust hatte. Ich wollte eigentlich am liebsten wie die Jungs draußen auf den Bäumen herumklettern. Meine Mutter hat alles versucht. Unter anderem Gymnastikschule. Aber da war alles Drill, man wurde auch geschlagen, damals in Sowjetzeiten. Auch die Ballettausbildung danach war sehr streng, aber erträglicher. Als ich mit 13 nach Deutschland kam, ohne Sprachkenntnisse, blieb mir gar nichts anderes übrig, als mit Ballett weiterzumachen. Drei Jahre war ich an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Mit 16 hatte ich schon Gastverträge, mit 18 war ich fest engagiert... Aber erst letzthin habe ich entdeckt, dass Tanz auch Spaß machen kann. Premiere 12. 6., Beginn 19 Uhr 30; Werkeinführung 19 Uhr

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