Kinsun Chan wird Tanzchef in St. Gallen
Der Schweiz-Kanadier übernimmt auf die Spielzeit 2019/2020 die Nachfolge von Beate Vollack
Philipp Eglis „City Rhythm“ und Nick Hobbs’ „wake“ uraufgeführt
Die beiden am Theater St. Gallen uraufgeführten Tanzstücke haben einiges gemeinsam: Sowohl Nick Hobbs’ „wake“ als auch Philipp Eglis „City Rhythm“ arbeiten mit Musikwerken östlicher Komponisten des 20. Jahrhunderts. Hobbs stützt sich auf die Kammersinfonie op. 110a von Dmitri Schostakowitsch (einer Bearbeitung des 1960 entstandenen 8. Streichquartetts); Egli verwendet das Divertimento für Streichorchester von Béla Bartók (1939). In beiden Choreografien präsentieren sich je sechs Tänzerinnen und Tänzer, in bühnengeometrisch interessantem Wechsel von Gruppen, Soli und vielen Pas de Deux. Dabei treffen oft Paare aufeinander, die einander begehren, umschlingen, hochheben - aber auch zu Boden drücken, wegstoßen oder brüsk fallen lassen. Anziehung und latente Gewalt überall.
Trotz diesen Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die beiden Uraufführungen stimmungsmässig stark voneinander. Verhalten die Atmosphäre in Hobbs’ „wake“, ausgefeilt, manchmal schmerzhaft schneidend der Tanz. In die spannungsgeladenen Pas de Deux mischen sich ruckartige Bewegungen. Einmal krabbeln die Tänzerinnen wie Insekten seitwärts auf die Bühne. Die Kostüme sind einheitlich schwarz; die Frauen tragen schulterfreie altmodische Kleider (Ausstattung Thomas Ziegler). Es herrscht Halbdunkel, was die Gefühle von Einsamkeit und Trauer verstärkt. Erst am Schluss fällt volles Licht auf eine einzelne Tänzerin. Eine Verstorbene? Eine Leitfigur? Schostakowitschs suggestive Musik lässt viele Deutungen zu.
Eglis „City Rhythm“ wirkt viel heiterer, fantasievoller, auch unausgegorener als das Stück seines Kollegen. Die Tanzenden stecken in bunten Freizeitkleidern. Hinten zieht sich ein schräger Lattenzaun über die Bühne, vorn fahren große Rollen auf, wie man sie fürs Aufwinden von Kabeln oder Schläuchen benutzt (Ausstattung Florian Etti). Sie dienen den Tanzenden als Fahrzeuge, Turn- und Sportgeräte. Im mittleren der drei Bartók-Musiksätze, der mit seinen chromatischen Ausbrüchen auch schon als Hinweis auf den drohenden Weltkrieg gedeutet wurde, walzen die Rollen dann so geballt auf die Bühne, dass man an Panzer denkt. Eine Tänzerin wird überfahren – zum Glück sind die Gefährte hohl, so dass sie heil aufersteht.
Das Sinfonieorchester St. Gallen unter Jeremy Carnall spielt die Werke von Schostakowitsch und Bartók sehr transparent. Und die Tänzerinnen und Tänzer der St. Galler Kompanie, obwohl mehrheitlich erst seit dieser Spielzeit dabei, überzeugen auch. Sie setzen zu Recht auf ihre Individualität, wirken in den Soli und Pas de Deux wohl deshalb besser als in der größeren Gruppe; doch grundsätzlich finden sie sich gut in den zeitgenössischen Stil der beiden Choreografen. Meist tanzen sie barfuß. Bei Hobbs wirken die Bewegungen abgezirkelt; Egli dagegen geniesst die Welle der wechselnden Rhythmen bei Bartók.
Zwischen den beiden Uraufführungen charmiert die St. Galler Truppe mit „Contredanse“ (Musik Jean-Philippe Rameau, Auszüge aus mehreren Orchestersuiten): Ein Stück, das Philipp Egli im Februar 2008 für das ballettmainz choreografiert hat. Leiter des Mainzer Ensembles ist der Ostschweizer Martin Schläpfer. Weil Hobbs, der am Theater St. Gallen bereits letztes Jahr „sum“ kreierte, seinerseits Hauschoreograf bei Schläpfer ist, hat sich inzwischen eine eigentliche St. Gallen-Mainz-Connection entwickelt. Die löst sich allerdings ab der nächsten Spielzeit auf: Tanzchef Philipp Egli verlässt St. Gallen (Marco Santi wird sein Nachfolger), und Martin Schläpfer wechselt als Ballettdirektor nach Düsseldorf.
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