Italienischer Elan Vital aus der Küchenperspektive

Simone Sandroni und Déjà donné, letzte Vorstellung bei DANCE 2008

München, 10/11/2008

Simone Sandroni bestritt das Finale am Ende von zwei Wochen DANCE. Hatte er in München zuletzt für das Bayerische Staatsballett „Cambio d'abito“ choreografiert, war er nun von Bettina Wagner-Bergelt als Leiterin des Festivals mit seiner eigenen Compagnie Déjà donné und dem Stück „A Glimpse of Hope“ in den Carl-Orff-Saal eingeladen. Um Unterschiede der Geschlechter sollte es gehen und die Frage, warum Frauen in der Geschichte weniger Spuren als die Männer hinterlassen.

Vier Türme auf Rädern öffnen in Mannshöhe Einblicke in kleine, nur mit Vorhängen zu verschließende Räume. Sie sehen aus wie eng aneinander stehende Häuser einer kleinen italienischen Città. Vier Italienerinnen agieren da lautstark redend, jede in ihrem Temperament ganz ungezügelt. Doch ihre Streitigkeiten und Attacken wirken spielerisch, lustig im mutwilligen Irritieren und impulsiven Reagieren. Dabei ergeben sich schöne Reihen dynamischer Drehungen und Schwünge, und Sandronis Körpertheater legt es als charakteristisch nahe, dass es diesen Frauen genügt, sich selbst zu produzieren.

Was sie zu einem knalligen Soundtrack, aus dem sich zunächst Rhythm & Blues, Soul und Hard Rock herauskristallisieren, ganz ergötzlich taten. Manchmal hat eine ihren kleinen Triumph, wenn sie das Dominiert-Werden durch eine Kontrahentin subtil hintergeht. Das anzusehen machte wegen Luigi Ceccarellis und Gaetan van den Bergs Collage aus Hits der letzten 50 Jahre und der Vitalität dieser Italienerinnen Spaß, wirkte aber tänzerisch und zunächst auch dramaturgisch unbedeutend. Doch es hat durchaus theatralische Qualität, wie diese Frauen Streitereien unter Männern parodieren. Von denen sorgen zwei, einer Sandroni selbst, mit grellen Scheinwerfern dafür, dass Kampfszenen festgeschrieben werden, also womöglich Konsequenzen haben, während Auseinandersetzungen unter Frauen sich wohl in der Lebhaftigkeit ihrer Unterhaltung auflösen würden.

Eine statische und eine stumme Phase, in der erste Transparente gezeigt werden, belegen das, ehe Geschrei und Bewegung wieder Fahrt aufnehmen: „What's Up“ von 4-Non-Blondes liefert dazu die Energie, und ein weiteres Transparent behauptet: “Women Are Better“. Warum? – In einem Duo zeigt sich eine Tänzerin ihrem männlichen Partner durch Lebensfreude darin überlegen, sich den Möglichkeiten des Augenblicks hinzugeben. Ein weiteres Spruchband mit der Parole „There Is a Chance” unterstreicht, dass es darum geht, solche Momente an sich zu reißen. Darin liegt gleichzeitig „A Glimpse of Hope“, denn auch der Titel wird hier als Transparent gezeigt. Während die Frauen in immer wilderer Begeisterung Fahnen schwenken, zeigen sich die Männer befangen in zaghaften Vorbehalten, die sie dann aber ins Mechanisch-Gewaltsame steigern, bis ein Rasseweib sie anfaucht, sodass sie mit Angstsprüngen die Flucht ergreifen und die Frauen sich wieder ihren lustigen Rivalitäten widmen: Kaum sieht sich eine nicht im Mittelpunkt, agiert sie am Rand der Hysterie.

Dann werden die Wohntürme zu Bühnen. „Open Your Eyes“ liest man am rechten und sieht das mit Countrymusic unterlegte Solo eines selbstverliebten Cowgirls. Links zelebriert eine andere über dem Schild „The Real Battle Began“ in orangefarbenem Brautschleier Glücksgebärden. Worüber Glück, bleibt unersichtlich. Im dritten Wohnturm probt über der Parole „No One Is Innocent“ eine junge Femme fatale ihren erotischen Reiz. Damit wird unverkennbar, dass diese Frauen Opfer von Klischees sind. Der Sound ist rau, und die vierte Tänzerin bringt als Punk-Lady durch wütendes Rütteln der Turmgestelle abwechselnd die Glückliche und die Verführerische zu Fall, mehrmals, weil beide sich schnell wieder in ihre Rolle finden. Diese Auseinandersetzung wird von infernalischen E-Gitarren zum Chaos gesteigert, in dem die Wohntürme rotierend fahren.

Die Frauen von Déjà donné sind athletisch fit. Schließlich bringen die Männer alles in Ordnung, in eine statische Ordnung, die uns nichts mehr sagt. Konsequent stellt eine Frau die Frage: „Warum sagst du mir nicht, dass du mich gern hast?“ Eine andere tanzt noch ein wenig. Als sie den Mund für eine weitere Parole öffnet, kommt nur. „Ich hab's vergessen“. Doch zuletzt sagt sie: „Ich mag dich.“ Simone Sandroni ist es gelungen, mit einem poetischen Geflecht aus polyglotten Äußerungen, athletischem Körpertheater, intelligentem Requisiteneinsatz sowie einem tollen Soundtrack und vitalen Bildern zum Lachen und Nachdenken zu reizen. Von den Zuschauern blieben die wenigsten unberührt, zumal seine Tänzer viel Persönliches investiert haben und sichtlich wussten, was sie gefunden und dargestellt haben.

Ein würdiger Schlusspunkt unter ein Festival, das ebenso reich an Abwechslung wie Höhepunkten war. Unter diesen möchte ich als Beispiele für eine Vielfalt, die sich nicht nur verstehen, sondern auch erleben ließ, die wunderbare „Don Q“-Revue mit Egon Madsen und Eric Gauthier, die interessante Studie von Rosemarie Butcher, das grandiose Theater Nacho Duatos mit seiner Compañia Nacional de Danca sowie die Spurensuche von Wim Vandekeybus mit Ultima Vez hervorheben.

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