Koitales Chaos im Kunstwald

Den „Sommernachtstraum“ in Halle durchpulst Ralf Rossas Theaterblut

Halle, 25/11/2008

Bei Shakespeares „Sommernachtstraum“ ist Halles Ballettchef Ralf Rossa in seinem Element. Neben der Romanadaption „Schlafes Bruder“ gelang ihm, auf gänzlich anderem Terrain, mit dieser Komödie seine überzeugendste Arbeit. Zwei Stunden lang versiegt ihm kaum je die Fantasie, wenn es darum geht, die witzigen Liebesverwicklungen der genialen Vorlage in dichten Tanz zu schlagen. Einziges Problem: Mendelssohn Bartholdys Schauspielkomposition ist nicht abendfüllend. Doch auch da weiß Rossa Rat. Er füllt jene Teile durch Schöpfungen zweier Meister der Ära Shakespeares auf, wie sie dessen Stücke stimmungzeugend begleitet haben mochten.

John Dowland, gefeierter Lautist, steuert Lieder zur Laute bei, Robert Johnson, Lautenspieler am Hof James I., ebenfalls live reproduzierte Vokalmusik für Solostimme und Chor. Auch Mendelssohn Bartholdys „Italienische“ in vertauschter Satzfolge und der 2. Satz seines Violinkonzerts e-Moll finden Einsatz – ebenso wie von Peter Breiner sinfonisch arrangierte Songs der Beatles. All das klingt fröhlich und nahtlos mit dem hinreißend komödiantischen Spiel zusammen, das Rossa sich, der formidablen Kompanie und den Zuschauern in seiner zehnten Hallenser Saison zum Geschenk gemacht hat.

Gleich zur Ouvertüre verflicht er die beiden Welten. Hinter einer Kurtine schütteln in blauer Sphäre Elfen mit popfarbig grellem Outfit ihre künstlichen Wuschelköpfe, kontrastiert mit Einblicken ins adlige Athen. Dort bemühen sich Theseus und Hippolyta zwischen kannelierten Säulen umsonst, aus Demetrius, Lysander, Helena, Hermia die richtigen Paare zu schmieden. Musikalisch genau eilen böse Blicke umher, Unzufriedenheit triumphiert, erbittert tobt der Widerstand. Nur Puck sieht schelmisch seine Zeit kommen. Wie die boxenden Kängurus aus den Anfängen des Films gehen die beiden Männer aufeinander los, um Ohrfeigen sind die raufenden Frauen nicht verlegen, und selbst Theseus rutscht die Hand aus.

Temporeich und tänzerisch anspruchsvoll lässt Rossa die Kampfhähne zusammenprallen, bis nur die Flucht sie in den Wald bleibt. Das projizierte Kreissignet der Friedensbewegung und die zum Victorygruß erhobenen Elfenfinger richten indes wenig aus. Auch im Weiteren fließen die Ereignisse Rossa so leichthin und organisch aus der choreografischen Hand, dass die Kleider der zwei Rivalinnen bei ihren Soloeskapaden auf Spitze fliegen, weiß er Figuren und Beziehungen amüsant zu charakterisieren, stringent zu erzählen. Puck mit seinen munteren Sprüngen senkt derweil Matthias Hönigs wundersam glimmenden Glitzerwald herab.

Nicht minder wundersame Bilder entwirft Rossa in dieser romantischen Kunstwelt, wirbelnd und quicklebendig. Beim Auftritt Oberons unter einer Silberkappe hebt sich die Kurtine – das Spiel wird ernst. Die Waldgeister tragen Titania herein, und schon hat sie sich in einen lockigen Knaben verguckt. Sogar Oberon wagt verwirrt einen Kuss. Als das rangelnde Quartett hereinplatzt und Puck schlichten soll, treibt sein Blumensaft die Konfusion auf den Höhepunkt. Rossa erfindet hierfür tänzerisch gespickte Aktionen voller Kampfesblicke, Kabbeleien, Kussversuche.

In das koitale Chaos am Ende des ersten Teils sind Menschen wie Elfen gleichermaßen verstrickt. Der Liebesdampf über der Szene ist noch nicht verweht, da bringen sich die streitenden Vier bei einem Tanzwettbewerb in Wallung. Erst Oberons Eingreifen ordnet. In seinem langen, nicht immer flüssigen Pas de deux mit der von Zettels Eselsliebe genesenen Titania wären Leerstellen zu tilgen. Alles gipfelt in einer Tripelhochzeit am Athener Hof, der nach dem Waldexzess vor Schwangeren nur so wimmelt, mit köstlicher Festaufführung der Handwerker. Im besinnlichen Abschiedstableau kommt das Friedenszeichen doch noch zu Ehren, Puck aber sprüht seinen Zaubersaft arglistig lachend ins Publikum.

Rossas angepoppter „Sommernachtstraum“ besticht als veritable Ensembleleistung von Chor, Staatskapelle und Tänzern. Markéta Slapotová als lüsterne Titania, Hyona Lee, Ludivine Revazov-Dutriez, Michal Sedlácek, Zdenko Galaba als Kabbelquartett, Sylvain Guillot als verschmitzter Puck, Benjamin Zettl als Zettel und fabulöse Thisbe im Tutu, Tobias Almási als Knabe und Mond sowie alle anderen dürfen sich auf einen Dauerbrenner gefasst machen.

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