In Radebeul verzaubert „Eine Weihnachtsgeschichte“ von Reiner Feistel Groß und Klein

Fantasievolles Läuterungswerk

Radebeul, 08/12/2008

Nach fast zwei Stunden harter Arbeit der drei Weihnachtsgeister ist das Läuterungswerk vollbracht: Der Halsabschneider Scrooge hat sich vom Misanthropen zum Menschenfreund gewandelt und verteilt an die ehemals aus seinem Kontor komplimentierten Bedürftigen, was die Geldschatulle hergibt. Sogar seine in der Jugend verekelte Braut ist noch für ihn frei. Das wird auf dem häusergesäumten, sternbesäten Stadtplatz, wie ihn Stefan Wiel zauberhaft blau malen und bis zum Proszenium vorziehen ließ, vor Karussell, Riesenrad und Naschbude von den 13 Mitwirkenden gebührend gefeiert. So tröstlich enden Stücke vorm Fest. Eine starke Vorlage hat sich Reiner Feistel allerdings auch für seine Radebeuler Premiere ausgesucht: Charles Dickens’ „Eine Weihnachtsgeschichte“ von 1843, als turbulentes Ballett schon von Youri Vámos bekannt. Feistels Fassung für die Landesbühnen Sachsen setzt auf Stimmung, Verwandlung, Farblicht und rückt den geizigen, dann seelisch veredelten Geschäftsmann ins Zentrum.

Schnee vom Video fällt, als eine Stimme die Story für die Kleinsten vorerzählt. Aus dem Stand beleben sich Figuren zu fröhlich flüssigem Tanz. Nur wenn Scrooge zu Zaubergeklimper sein Geld zählt, frösteln alle, besonders Sekretär Bob, weil es im Kontor so kalt ist, dass schon Eiszapfen hängen. Wie variant hinterhältig Scrooge nacheinander Notleidende ohne Gabe abspeist, da er so arm ist, steht als Kabinettstück an durchdachter Charakterzeichnung in Geste und Tanz. Feistel selbst, lange Jahre führender Solist in Dresden, brilliert wegen Erkrankung seines Protagonisten in diesem Part, bringt Reife als Mensch wie Bühnendarsteller ein, macht auch Tragik sichtbar. Froh ist der Griesgram erst, als er sein Geld gerettet weiß und sich nach einem dahinfliegenden Solo mit zeitgemäßer Bewegungssprache zur Ruhe bettet.

Damit jedoch beginnt die Unruhe. Denn sein verstorbener Teilhaber entsteigt wie Frankenstein dem Gemälde, rasselt mit den Ketten des Schuldbeladenen, mahnt zur Besserung. Öffne dein Herz, dröhnt nach dem gemeinsamen Duett seine Stimme. Das sollen drei Wesen besorgen. Der Geist der vergangenen Weihnacht führt Scrooge die Kindheit vor Augen: wie niemand mit ihm spielen will und der Alte sein jugendliches Alter Ego tröstend umfangen möchte; wie er der Liebsten den Verlobungsring wieder abluchst und sie verliert. Der Geist der gegenwärtigen Weihnacht zaubert drei Kitschengel herbei, die den Geizhals witzig drängen, seinen armen Sekretär mit dem kranken Kind zu bescheren. Bevor Scrooge ins alte Klischee abrutschen kann, ängstigt ihn der Geist der zukünftigen Weihnacht als Sensenmann mit einer Beerdigungsvision. Fast gerät diese Szene zu dramatisch für Kinder. Auf Scrooge hat sie indes genau die rechte Wirkung. Als er erwacht und merkt, dass sein Herz noch pocht, öffnet er Tür und Fenster, verteilt Gaben, und als er der Ex seine Liebe gesteht, flackert Feuer im Kamin auf.

So erzählt es die Choreografie stringent und mit dicht ausmodelliertem, bisweilen groteskem Tanz. Alles entwickelt sich aus dem Spiel, nirgends verselbständigt sich Bewegung zu leerer Virtuosität. Musik von Hans-Peter Preu, Radebeuls 1. Kapellmeister, Filmkompositionen von John Williams, Ausschnitte aus Rachel Portmans Dickens-Musical „Oliver Twist“ sowie, von den Kindern gleich mitgesungen, Weihnachtslieder mit Matthias Freihof kolorieren ein atmosphärisches Festballett in der Gewandung der Dickens-Ära. Auch wenn Feistel, gerade mit dem Radebeuler Kunstpreis geehrt, als Scrooge unumschränkt dominiert, fallen zumindest Norbert Kegel als Bob und Christian Schreier als jungem Scrooge prägnante Rollen zu.

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