Bewegte Umwege? Kreativität und Karriere der Choreografen
Das diesjährige Symposium des Festvials Steps#12 in Bern
Die Inbal Pinto Dance Company (Tel Aviv) gastiert in der Schweiz mit „Hydra“
„Hydra“ gehört zu den originellsten Produktionen, die zur Zeit in der Schweiz im Rahmen des Internationalen Tanzfestivals Steps#11 gezeigt werden. Das enigmatische Stück stammt von Inbal Pinto und ihrem Partner Avshalom Pollak, den Leitern der 1992 gegründeten Inbal Pinto Dance Company mit Sitz in Tel Aviv. Das Tanzwerk wurde in Japan einstudiert und auch dort uraufgeführt. Der Titel „Hydra“ befremdet zunächst. In der griechischen Mythologie war die Hydra nämlich eine gefährliche Sumpfschlange mit mehreren Köpfen; wurde ein Kopf abgeschlagen, wuchsen zwei neue nach. Herakles musste ihr die Halsstümpfe ausbrennen, um sie unschädlich zu machen. (Ihre giftige Galle verwendete er dann für seine Pfeile.) An diese Schlange mit ihren Giftzähnen kann die Inbal Pinto Dance Company nicht gedacht haben. Ihre Hydra tötet nicht – sie imponiert nicht durch Biss, sondern durch schillernde Schönheit und Geschmeidigkeit. In den fließend ineinander übergehenden Bildern zeigt sie immer neue Gesichter.
Eine Stunden lang führen die zwölf Tanzenden in poetisch verfremdete Welten. Die sechs Frauen tragen weiße Kleider, mit schwarzen Bändchen ums Mieder. Häkelwerk und Stoffblumen schmücken das aufgesteckte Haar. So gleichen die Tänzerinnen filigranen Jugendstilfiguren. Trotz der nackten Füße erinnern sie manchmal auch an klassische Balletttänzerinnen. Etwa dann, wenn sich je drei Mädchen und ein Junge zu zwei Vierergrüppchen vereinen, die auf den ersten Blick an die süßen Arrangements von „Les Sylphides“ erinnern. Bis man merkt, dass die Männer nicht angehimmelt, sondern bös geknuddelt werden.
Die sechs Tänzer tragen Schwarz mit hellen Leibchen darunter. Dem Ältesten ziehen die andern unverfroren die dunkle Hemdjacke aus – darunter kommen im Zwiebelsystem fünf weitere Jacken zum Vorschein, eine für jeden Mitwirkenden. Zu ihnen gehören zwei unglaublich flinke japanische Tänzer mit ihrem eigenen künstlerischen Hintergrund. Auch sonst fließen japanische Elemente in die Choreografie der Inbal-Company ein. Wobei die Verflechtung viele Aspekte hat, tänzerische und atmosphärische, optische und akustische. Politische Anspielungen bleiben dagegen ausgeschlossen.
Getanzt wird in „Hydra“ stets barfuss. Manchmal schleichen die Company-Mitglieder wie scheue Tiere herum, dann wieder erinnern sie an trippelnde Geishas oder verwegene Zirkuskünstler. Sie sind oft komisch, meiden aber den Klamauk. Und schaffen es, sich athletisch-kämpferisch zu zeigen, ohne Lärm zu erzeugen und Schweiß zu vergießen. Einige Szenen verdichten sich zu Bildern, die an Maler wie J.H. Füssli oder Magritte erinnern. Etwa eine unruhig auf dem Boden liegende Nymphe, von dunklen Männergestalten umringt, denen Taschenlampen im Mund stecken: ein Alptraum. Später tritt eine Frau auf mit meterlangem Schnurrbart nach beiden Seiten, der mit Stäbchen gestützt wird, vielleicht die Karikatur eines jüdischen Rituals: real-surreal. Die Choreografen Inbal Pinto und Avshalom Pollak arbeiten so eng zusammen, dass sich „Hydra“ nicht in verschiedene Handschriften auseinander dividieren lässt. Das Paar zeichnet auch miteinander für Bühnenbild, Kostüme und Musikcollage verantwortlich. Letztere mischt J.S. Bach und Arvo Pärt, Seigen Ono und Michael Convertino auf ungewohnt feine Art. Mit Zwischeneinlagen von fernem Vogelgesang, Pferdeschnauben und Sandgeriesel.
Der Sand fließt langsam aus einem Sack, der von Anfang an über der Bühne schwebt. Diese besteht aus drei Wänden in wechselnder Farbe; im schmalen Querfester der Rückwand tauchen immer wieder Körperteile auf, Tänzerinnenköpfe zum Beispiel, wie von Damen ohne Unterleib. Auf einer Bank davor spielen sich Liebes-, Turn- oder Jonglierszenen ab. Am Ende schweben weiße Samenstände wie Fallschirmchen auf die zwölf Tanzenden. Dann senkt sich nach zauberhaften 60 Minuten der Vorhang.
Spielplan des bis 30.04.08 dauernden Festivals und weitere Angaben: www.steps.ch
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