„15 Years Alive“
Gauthier Dance mit einer grandiosen Jubiläumsgala im Theaterhaus Stuttgart
Im Stuttgarter Theaterhaus sieht Ballett einfach lockerer aus. Für Eric Gauthiers kleine Tanzkompanie kristallisiert sich mit ihrer zweiten Premiere ein witziger, abwechslungsreicher Stil heraus, der das ganze Spektrum zwischen brüllendem Gelächter und bizarrer Moderne abdeckt. Und der hier mit immerhin drei prominenten Choreografen aufwarten kann. „High Five“ heißt der neue Abend und meint damit die zum Einschlagen erhobene Hand - die coole Geste ist Programm. Nach dem „Six Pack“ scheinen sich die Titel der Kompanie als Countdown zu gestalten, zu erwarten stehen also nächste Spielzeit die „Fab Four“, Gauthiers Tänzer werden ohnehin schon wie Popstars umjubelt. Der kanadische Alleskönner ist als Choreograf ganz bestimmt kein Visionär oder Schritte-Erfinder, er erzählt nette kleine Geschichten und Comic-Strips, gern aus dem Alltag und mit viel Ironie, aber wesentlich kindlich-unschuldiger als die düsteren Intellektuellen des modernen Balletts.
So zum Beispiel in „Eclipse“, dem Kampfroboter-gegen-Sonnengott-Spektakel, das er hier vom Kammertheater-Abend des Stuttgarter Balletts im Mai übernommen hat. Der Gag mit den Robotergeräuschen verpufft immer noch zu schnell, hätte Gauthier doch mal ein Hip-Hop-Solo für den moonwalkenden Armando Braswell erfunden! Für seine Uraufführung „Adrenalin“ dreht Gauthier den Zuschauer in eine andere Perspektive - wir sitzen gewissermaßen auf der Seitenbühne und schauen aus den Kulissen zu, wie sich vier Tänzer in einer athletischen Turbo-Choreografie verausgaben, bevor sie keuchend von der Bühne rennen - und direkt vor unseren Augen zusammenbrechen. Die tolle Rhythmus-Partitur von Francis Rainey wurde vom Percussion-Ensemble Stuttgart live gespielt und trug ihren Teil zur enthusiastischen Zuschauerreaktion bei.
Das Tanzpublikum im Theaterhaus reagiert anders als im Staatstheater, hier wird gerne und schneller gelacht, weshalb man auf der Bühne natürlich dem Affen Zucker gibt. Alles wird ein bisschen mehr auf Effekt, ein bisschen lustiger und derber getanzt, so auch Hans van Manens Drei-Mann-Wuselorgie „Solo“. Dabei gebietet Bachs Violinpartita doch eigentlich ein lächelndes Dahinhuschen in feinster Ironie. Ganz anders ist das in „The Sofa“, einer herrlich komischen Szene des israelisch-niederländischen Choreografen Itzik Galili zu einem Tom-Waits-Song. Auf einem riesigen gelben Sofa baggert ein Typ ein Mädchen an, das sich trotz Kampfamazonen-Outfit kaum zu wehren weiß. Dann kippt das Sofa um, und plötzlich ist der Macker der Angemachte, weil eine männliche Drama-Queen in roter Samthose an ihm herumschraubt. Drei tolle Tänzerkomiker - Emilia Giudicelli, Eric Gauthier und William Moragas - sorgen für die zehn witzigsten Tanzminuten seit langer Zeit.
Einsamer künstlerischer Höhepunkt des Abends war „Pression“ von Mauro Bigonzetti, ein vermeintlich inhomogenes, faszinierendes Quartett für zwei spinnenbeinige Mädchen und eine bizarre achtbeinige Skulptur aus zwei Männerkörpern. In seinem 1994 entstandenen Werk verwendet der italienische Choreograf Helmut Lachenmanns gleichnamige Komposition als Gebrauchsanweisung und reagiert auf jedes Geräusch, jedes Rauschen mit einer neuen Mutation des verschlungenen Objekts, das sich vom Kafkaschen Rieseninsekt zum Minotaurus wandelt. Dann staksen zu Ausschnitten aus Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ (aus Lied und Streichquartett) die beiden Frauen auf eleganter Spitze über die Bühne, belauern und spiegeln sich. Ein so ungewöhnliches wie spannendes Stück. Keine Frage, mit dieser raffinierten Mischung aus Anspruch und Unterhaltung, mit seiner sympathischen Kompanie und den zivilen Kartenpreisen von 20 Euro wird „High Five“ der dritte dauerausverkaufte Tanzabend im Theaterhaus.
Link: www.theaterhaus.com
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