Erinnerungen an den Tanz der Revolution

Alma Guillermoprietos Band “Havanna im Spiegel”

Berlin, 16/11/2009

Nein, ein Buch über den Tanz in Kuba ist es nicht, was die in den USA aufgewachsene Mexikanerin geschrieben hat, auch wenn auf dem Einband ein Tänzer lächelnd durch den Saal hüpft. Alma Guillermoprietos Band „Havanna im Spiegel” nennt sich im Untertitel auch fairerweise „Eine Erinnerung an die Revolution”. Und um die geht es hauptsächlich auf knapp 400 Seiten. Als Schülerin von Merce Cunningham, Martha Graham, dann Twyla Tharp erhielt die New Yorker Elevin das Angebot, modernen Tanz, insonderheit Cunningham-Technik, an der Tanzabteilung der frisch gegründeten Escuelas Nacionales de Arte (ENA) in Havanna zu unterrichten. Cunningham hatte den Auftrag vermittelt - wohl auch, weil abzusehen war, dass es mit Guillermoprietos Karriere als Tänzerin nicht recht vorangehen würde. So lebte und arbeitete sie 1970 für sechs Monate in der Inselrepublik, die gerade elf Jahre der Revolution hinter sich hatte und unter dem Embargo der USA sowie jeder Menge hausgemachter Fehler in der Planung und Leitung litt.

Überaus sympathisch rekonstruiert die heute als Lateinamerika-Expertin für den „New Yorker” schreibende Verfasserin aus dem Gedächtnis, wie sie als schüchterne, pädagogisch unerfahrene und politisch diffuse junge Frau in die sozialistische Mangelwirtschaft unter Fidel Castro kam, und wie verzweifelt sie zu verstehen suchte, was dort wie und warum ablief. Dass dies ihr Weltbild grundlegend zu verändern wusste, bis hin zu einem geschärften politischen Bewusstsein, ist der positive Aspekt; dass sie im Tanz wenig bewegen konnte, weil sie allenthalben auf die Ressentiments der Politkaste stieß, der bittere Beigeschmack.

Man erfährt, brillant, sensibel, hellhörig und zugleich ironisch formuliert, viel über die Anfänge des sozialistischen Kuba, dessen Übermaß an Radikalpathos, aber auch die internationale Solidarität, die jenes Experiment im lateinamerikanischen Raum begleitet. Man fiebert bei ihren Begegnungen mit heute legendären Revolutionären mit, nimmt an ihren Liebesaffären teil und begreift, unter welch schwierigen Bedingungen sich die gewollte, aber nur halbherzig zugelassene Öffnung hin zum modernen Tanz gestaltete.

Übermächtig beherrschte und dominiert bis heute Alicia Alonsos Ballettimperium die Tanzszene, den Rest bestreitet eine von der Folklore abgeleitete Richtung des Tanzes, „afrokubanisch“ genannt. Nach wie vor existiert zeitgenössischer Tanz nur als Diaspora. Guillermoprietos persönlicher Einsatz hat das nicht ändern können, und auch nicht jenes am Stadtrand untergebrachte Kunstzentrum ENA in seinem eigens entworfenen, heute verfallenden Gebäudekomplex. Dass selbst Spiegel als Relikt kapitalistischer Zeiten im Ballettsaal verpönt waren, gab als Anachronismus den Buchtitel. Wiewohl manches nach Aussage der Autorin hinzuerfunden sein mag, weil sich die Erinnerung getrübt hat, liest sich ihre Autobiografie jener Lebensphase flüssig und spannend, wirft Schlaglichter auch auf den Tanz und besticht hauptsächlich durch die mit warmer Anteilnahme gezeichnete, zumindest teilauthentische Personnage an Kubanern, Studenten wie Revolutionären, um die ihrer eigenen Berufung unsichere junge Lehrerin herum. Das macht für den an Kuba und seiner jüngeren Geschichte Interessierten die – neben Prolog und Epilog - neun Kapitel dieses Bands allemal lesenswert.

Alma Guillermoprieto: „Havanna im Spiegel – Eine Erinnerung an die Revolution”, Berenberg Verlag, Berlin 2009, 399 S., 25 Euro, ISBN 978-3-937834-33-7
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