Marco Goeckes Vertrag beendet
Die Staatsoper Hannover trennt sich mit sofortiger Wirkung von ihrem Ballettdirektor
Der Gegensatz könnte kaum größer sein: Hier Jörg Mannes, der in seiner Produktion „Lux“ auf die feinsten Verästelungen der Musik von Giovanni Sollima reagiert, synchron, konträr oder eigenständig, der mit trockenem Humor (Bewegungs-)Pointen traumhaft sicher im Timing wie nebenbei fallen lässt. Fein ziseliert setzt er Spannungsbögen mit langem Atem. Dort Mauro Bigonzetti, der in seinen „Rossini Cards“ meist stumpfe Holzhammerwitze mit Ankündigung – Achtung, das ist etwas Komisches – grobschlächtig verteilt auf beliebig aneinander gereihte Musikstücke Rossinis, an deren Oberfläche Bigonzetti entlang surft. Ihm fehlt das Gefühl, wann ein Motiv ausgereizt ist, nur mehr platt wird statt tiefgründig, sich in Wiederholungen erschöpft. Die choreografische Puste geht ihm zudem schnell aus.
In beiden Stücken kommt die Musik aus der Konserve, bis auf die Klavierstücke Rossinis, die „Pêchés de vieillesse“ („Sünden des Alters“), die Andrea Sanguineti glasklar, mit sensiblem Gespür für Agogik am Piano artikuliert. In „Lux“ spielt Mannes gewissermaßen leichtfüßig mit den Möglichkeiten des Bühnenlichts (Peter Hörtner), lässt seine exzellenten Tänzer in engen Trikots, barfuß, mit nackten Beinen und Armen agieren, so dass eine erotische Grundstimmung ohne voyeuristische Note sein Werk durchzieht. Die eklektische Komposition Sollimas spielt geschickt mit den Musikgenres, serviert abwechslungsreich dramatische Abschnitte, lyrische Episoden und gefühlsselige Momente – ein gefundenes Fressen für Mannes, auch er gebraucht Anleihen etwa von Kylián und van Manen, verwandelt sich deren Stilmerkmale jedoch weitgehend an, auf dem Weg zu etwas ihm Eigenem, für das ein permanenter Fluss der Bewegungen typisch ist.
Traumwandlerisch sicher hat sein Ensemble diesen Stil verinnerlicht, die wunderbar melodiöse Phrasierung, die auf den Punkt genau konturierten Abläufe und Abschlüsse, sattelfest im moderaten Modernem wie Klassischen. Mit diesem Pfund kann Mannes wuchern für die Zukunft, für die er unter anderem „Nussknacker“ und „Gefährliche Liebschaften“ plant. Manches wirkt wie Jagdszenen mit „tierischen“ Gesten und Sprüngen, gehockt in der vierten Position wie ein Springbock, gedrängt zur Herde. In drei von oben ausgeleuchteten, durchsichtigen Kästen quetscht sich je ein Mann, alle umtanzt von drei dominierenden Frauen. Mit Laternen und Lampen schafft Mannes märchenhafte Stimmungen. Eher drohend wirkt eine bewegliche Scheinwerferbatterie über den Menschen. Vor einem Schleier lässt Mannes die Tänzer in scharfen Schattenrissen agieren, dahinter erscheinen diffuse Gestalten in weichen, oft wie zerfließenden Umrissen: synchron, dialogisch mit den „Vorbildern“. Als strukturelles Element nimmt Mannes eine beleuchtete Rampe, die sich über den Orchestergraben spannt. Auf ihr beginnt das Geschehen mit dem Beschwörungstanz eines Mannes, der den Belag wie Schnee aufwirbelt. Zum Schluss drängen sich alle auf der Fläche zusammen, bis auf den Mann, der in die Tiefe schreitet, im Kreuz von drei Spots die Arme erhoben wie eine Jesusfigur. Das kann Mannes nur ironisch meinen, sonst liefe es der lockeren Grundstimmung von „Lux“ entgegen. Mögen auch die Episoden manchmal kaum dramaturgisch miteinander verknüpft sein, so hält sich die vibrierende Spannung dennoch bis zum Ende. Mannes ist damit ein im besten Sinne unterhaltsames, seine Kompagnie von der besten Seite zeigendes Ballett gelungen. Chapeau!
Bigonzetti, Chefchoreograf der italienischen Kompanie Aterballeto, arbeitet in diesem Fall mit erheblich plumperen Mitteln, weist auch nicht im entferntesten den Bewegungsreichtum von Mannes auf. Parterreakrobatik mit artistischen Einlagen, eher langweilig pornografisch als erotisch, entwickelt er in einem Pas de deux. Bigonzetti hangelt sich darin in epischer Breite (anscheinend sein Markenzeichen) von einem athletischen Gag zum anderen, bietet Verwicklungen, Verstrickungen, Verbiegungen der bis auf knappe Höschen nackten Körper, eine Art Kamasutra am Boden, über-, neben-, hintereinander liegend, sitzend, bewundernswert nachbuchstabiert von der barbusigen Catherine Franco und Marco Boschetti. Im Kapitel „Ricetta Maccheroni alla Rossini“ (ein Rezept für Nudeln) liest die Franco in festlicher Robe vor dem Vorhang komplett auf italienisch und in gebrochenem Deutsch den Text der Zubereitungsanleitung minutenlang vor. Das soll wohl korrespondieren mit dem vorherigen Ensembleauftritt, bei dem sich die Tänzer zu einer fiktiven Mahlzeit an einer langen Tafel zusammenfinden – in ihrer Hektik eine mäßig komische Einlage. Karine Seneca absolviert ein ellenlanges Solo mit vielen Leerstellen, Cássia Lopes und Emma Jane Morton mühen sich ab in einem ein nicht enden wollenden „Duetto inoffensivo“, das in seiner Unbedarftheit wahrlich harmlos (inoffensivo) wirkt. Zur Ouverüre „Die seidene Leiter“ entfacht Bigonzetti mit dem gesamten Ensemble ein wirres Treiben, bei dem die Vervielfachung grotesker Bewegungen die beabsichtigte Komik totschlägt. Ach, ja, eh’ ich’s vergesse: Anfangs gehen alle Tänzer aus dem Dunkel ins Licht am Rand des Orchestergrabens. Einer zieht sich aus, tritt einen Schritt vor und stürzt in den Orchestergraben. Später hopst ein Paar hinunter, schließlich springen zum Finale alle nacheinander hinab – bis auf einen. Ein Gag, Tieferes zu signalisieren?! Jedenfalls geht es abwärts.
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