Japans fragile Ästhetik

Mónica Runde kreierte fürs ballett magdeburg „Gingko (Warum?)“

Magdeburg, 16/02/2009

Als die Madrider Gruppe „10y10 danza“ 1993 in Berlin ihr Debüt gab, noch mit Gründerin Mónica Runde als Tänzerin, fegte der zupackend heutige, technisch virtuose, enorm geschwinde Stil wie ein Tornado fort, was man bislang an zeitgenössischem Tanz aus Spanien gesehen hatte. „Hoy“, diese zweite Produktion seit Entstehung der Truppe 1989, gewann 1991 den Preis als beste Choreografie, tourte überland und popularisierte das Choreografendoppel (neben Runde Pedro Berdayes). Nun kreierte Runde auf Einladung von Ballettchef Gonzalo Galguera mit dem ballett magdeburg eine Uraufführung. Der Brückenschlag zwischen freier Gruppe und Theater ist löblich, von der Produktionsweise her aber nicht unproblematisch. Was Runde sonst langwierig durch Improvisation gewinnt, hat im Theaterbetrieb entschieden weniger Probenzeit. So griff sie für Magdeburg nach eigener Aussage auf Schritte und Bewegungen einer zuvor in Spanien entwickelten Choreografie zurück. Internationaler kann das Ergebnis, ob nun Uraufführung oder nicht, kaum sein. Die von einem Kubaner geführte multikulturelle Kompanie studierte mit einer Spanierin eine japanische Thematik ein. Das Resultat kann sich sehen lassen.

Denn „Gingko (Warum?)“ ist enorm vielschichtig. Nicht nur, weil der botanische Name Gingko jenes schon von Goethe bewunderten Baums im Japanischen Silberaprikose bedeutet und das dem Titel angefügte „Warum?“ daher keine Übersetzung, sondern wirklich eine Frage ist. Sondern auch, weil es eben ein Gingkogewächs war, das 1945 im zerbombten, verseuchten Hiroshima als einziger Organismus das Todesinferno überlebte, wieder Blätter trieb. Bis zu 1000 Jahre kann der als heilig verehrte Gingko werden, und das wiederum verbindet ihn mit den uralten shintoistischen Mythen. Dem etwa um die Sonnengöttin Amaterasu, die sich einst erzürnt in eine Höhle zurückgezogen und so die Welt verdunkelt hatte, bis ihre Gefährten sie mit einem Trick herauszulocken vermochten. Oder jenen um den zum Mörder gewordenen Mondgott Tsukuyomi, dem seine Schwester Amaterasu seither so geschickt ausweicht, dass sich Sonne und Mond nie begegnen.

All das, Japans Erbe und Gegenwart, sucht Runde durchlaufend in 75 Minuten zusammenzubringen. Wer sich darauf einlässt, wird ebenso Gewinn daraus ziehen wie die Choreografin, die sich in 13 Szenen asiatischer Langsamkeit und ihrer Bildwirkung stellt. Zu einer Geräuschcollage liegen in nebliger Röte Wesen, ob im Urchaos oder nach dem Bombenfall. Der Tiefe entsteigt mit einem Lampion eine haarige rote Frau, Amaterasu oder Todesfigur, und findet einen Kimono. Obwohl hinter ihr der Boden wegbricht, fährt entfernt ein Mann auf, Tsukuyomi oder schlicht das sich sehnend rankende andere Geschlecht. Erdverwurzelt reckt sich sein freier Oberkörper aus sackleinernem Rock, bis die Rote ihn wie in einem Schöpfungsritual befreit. Gelegenheit zu mehr Tanz bietet anmutig ein Geisha-Bild vor der Projektion schwellender Kirschblüten. Fluss und Leichtigkeit hat, was in zwei Männern mit endloser, unsichtbar verankerter Schleppe zur Metapher des unerfüllten Brunstschreis wird und in differenten Beziehungen zwischen Geishas und ihren Liebhabern kulminiert. Vor und hinter Aufstellern aus Reispapier findet das statt, live und reizvoll als Schattenriss. Auch die Rote ist in ein Trio mit Wurfhebungen und Umgriffen verstrickt, erreicht fast etwas von der herben Strenge Grahamscher Frauengestalten. Ehe soviel assoziativer Frieden langweilt, findet man sich in der Gegenwart. Uniformierte in Anzug und Kostüm stehen für den maschinell ablaufenden Kommandoalltag im heutigen Japan, bald eingesperrt hinter einem Netz aus Seilen.

Auch Luis Miguel Cobo spitzt seine japanisch kolorierte, europäisch inspirierte Musik bis zur Katastrophe aus flackernder Scheinwerferbatterie und reißendem Netz zu. Die Rote kann nur noch wie in Auschwitz die Schuhe der Toten besichtigen. Gemeinsam mit ihrem Bruder streut sie hell aufleuchtende Lotosblüten über die Diagonale. So tröstlich lässt Mónica Runde ihre Japan-Expedition enden, die fürs eher klassisch orientierte ballett magdeburg gleichsam ein Barfuß-Ausflug ins Gefilde des zeitgenössischen Tanzes ist. Auf Alfonso Barajas’ Bühne, in Elisa Sanz’ wallenden Kostümen zelebrieren die Tänzer zeitgedämpft das zeitübergreifende Tableau, mit starker Präsenz Ami Takazakura als Rote, eminent körperplastisch wie ihr Gegenpart Gonzalo Galguera, präzis José García Ceballos und Dario Lesnik als Schleppen-Herren.

Wieder 21., 27.2., 8., 21.3., 26.4., 17.5., Infos unter www.theater-magdeburg.de

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