Der? Die? Oder Das?
Barbara Fuchs gastiert beim Tanzfestival XtraFrei in der Schwankhalle Bremen
von Anette Harasimowitsch
Wie eine akustische Metamorphose gehen die Stimmen aus dem Off ineinander über, zählen „eintausendeinhundertsiebzig, eintausendeinhunderteinundsiebzig“; eine Frauenstimme wird zur Männerstimme, wird zur Frauenstimme, wird zur Kinderstimme.
Eintausendfünfhundert selbstklebende gelbe Notizzettel, sagt das Programmheft des XtraFrei-Festivals in Bremen, beim Stück „,Das Solo für eine Gestalt“ in Reihen geklebt, den Bühnenboden der Schwankhalle. Hinten am Rand kniet die Kölner Tänzerin und Choreografin Barbara Fuchs und fügt Zettel hinzu. Sie erhebt sich, rafft den Rock, hält ihn so, wie ein kleines Mädchen ihren ganz besonders hübschen Rock zeigen würde, und geht nach vorn. Wie sie geht, erinnert wieder an Kinder: bloß nicht auf die Ritzen zwischen den Gehwegsteinen treten, oder eben auf die Zettel. Sie schreitet, trippelt, tänzelt den Boden ab, diagonal, zur Mitte zurück, am Rand entlang.
Die Musik von Jörg Ritzenhoff – elektronisch, basslastig, immer schneller werdend, jemand summt zwischendurch vor sich hin – treibt sie an. Drei Schritte vor, zwei seitwärts, die festgelegten Trittfolgen wiederholend. „Niemals gelbe Unterwäsche“, „ Vergiss dich“, „Pimmelfriseur“ und „ans Einparken denken“: Mann, Frau, Kind geben Anweisungen aus dem Off, verlesen Einkaufszettelnotizen, Beschimpfungen, Binsenweisheiten. „Es ist gut so wie es ist.“ Mancher Satz provoziert leises Gelächter im Publikum. Mit jeder Einmischung – Warum niemals gelbe Unterwäsche? Warum mich vergessen? - rupft Barbara Fuchs die beschriebenen Zettel vom Boden, befreit sich, ein Kreis entsteht. Den Rock ordentlich vor sich gelegt, eben noch das schüchterne Mädchen, macht sie nun Bodybuilderposen mit abgehackt isolierten, marionettenhaften Bewegungen. Wieder lässt die Musik sie schneller werden, und die Bewegungen wirken fast weich.
Akribisch, nahezu zwanghaft, beginnt sie wieder diese Zettel vom Boden zu reißen, bis ihr Körper genau in eine neue freie Stelle passt. Doch angekommen scheint sie wieder nicht, sie verlässt die Stelle. Es knarzt, fiept, ein Martinshorn, Vögel zwitschern; sie zieht sich zurück, sinkt an der Rückwand zu Boden, birgt den Kopf in den Armen, schützt sich. Dann sammelt sie Zettel für die Veränderung: Zwei für die Brüste klebt sie auf ihr Top, dann drei für Penis und Hoden auf dem Schlüpfer, und ganz viele für Ohren und Mauseschwänzchen. Sie fixiert die Zuschauer, zwar ernst, aber auch ein wenig beifallheischend, kokett: Versteht ihr, was ich sagen will? Sie spielt mit den Geschlechtern, wechselt zwischen Mann, Frau und Maus. Ein paar gelbe Zettel, immer an anderen Stellen ihres Körpers platziert, reichen zur Festlegung.
Ruhe kehrt ein, Wassertropfen und Vogelgezwitscher begleiten sie an ihre freigeräumte Stelle. Auf dem Bauch liegend windet sie sich aus Top und Slip, langsam, kraftvoll. Sie ist nackt, schlingt die Arme um sich. Ihr Körper, der so sehnig, so muskulös ist, dass nur das Wissen darum, dass sie eine Frau ist, verhindert, den Rücken eines Mannes zu sehen, bewegt sich wie beim Akt. In Anspannung windet sie sich, dem Zuschauer immer den Rücken zugewandt, dem Kreis zu. Zu ihrem Rock. Man muss sie anstarren, fasziniert und doch beschämt, einem so intimen Moment beizuwohnen. Begleitet vom Geräusch einer knarrenden Tür kriecht sie, den Kopf voran, in ihren Rock. Fast mutet es kitschig an: eine Tür öffnet sich, fort ist die Anspannung, der Druck, das Getriebensein. Zartes Glockenspiel, sie erhebt sich; im Scheinwerferlicht steht sie da, wie eine Madonna, ihre Scham bedeckend, es ist nur der Rock, der sie kleidet. Im nächsten Moment ein altes Mütterchen, ein Tier, ein Mann. Sie wechselt ruhig, gelassen, selbstverständlich die Identitäten. Nichts gilt mehr: keine Zuschreibung, keine Anweisung. Nur dass die Gestalt angekommen ist.
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