Mann, Frau oder Maus?
Die Kölner Tänzerin und Choreografin Barbara Fuchs
Barbara Fuchs gastiert beim Tanzfestival XtraFrei in der Schwankhalle Bremen
„Eintausendvierhundertsiebenundfünfzig“. Langsam wird es dunkel im Zuschauerraum. „Eintausendvierhundertdreiundsechzig“. Nichts ist mehr zu sehen. 1469. Im schwachen Licht auf der Bühne wird eine Person erkennbar. Grau gekleidet, mit Kurzhaarfrisur. 1472. Nun zählt eine verzerrte Männerstimme. Eine Bühne voller kleiner Quadrate, über und über beklebt mit hellgelben Notizzetteln. 1490. Ein Zettelchen wird noch festgedrückt. Bis zum Ende des Stücks „Das – Solo für eine Gestalt“ von der Tänzerin und Choreographin Barbara Fuchs werden sich in das Zettelfeld auf der Bühne verschiedene geometrische Muster einschreiben. Ein Kreis. Linien. Man ist versucht, darin das Symbol für Weiblichkeit oder eben auch Männlichkeit zu vermuten. Denn der Körper, der sich manisch in den Zwischenräumen der Zettel bewegt, muskulös, sehnig und mit einem Rock bekleidet, will nicht weiblich und kann nicht männlich sein. Bedächtig löst die Tänzerin Zettelchen vom Boden. „Nicht zwinkern, nicht blinkern“, „Achselhaare rasieren“, „immer Mitte“, tönt es aus dem Off. Beschimpfungen, Widersprüchliches und Sprichwörter haften an den Zettelchen. Dinge, an die man gar nicht erinnert werden möchte. Sie lässt lieber ihre Muskeln spielen. Wie ein Bodybuilder nimmt sie Posen ein, zeigt ihren Bizeps, den stählernen Körper. So ist es nicht verwunderlich, dass sie sich ihres Rockes entledigt und fortan in die Matrix aus Notizzettel-Quadraten eintaucht.
Später markieren die gelben Zettelchen auf ihrem Körper männliche und weibliche Attribute. Brüste, Bart, Schmuck und Penis. Vor dem Hintergrund elektronischer Geräuschlandschaften wird sie zu einem Zwischenwesen, nicht Frau, nicht Mann. Oder sowohl als auch? Es piept, es kratzt, es tönt. Sie hetzt über die Bühne, fast wirken ihre Schritte roboterhaft, der Körper ist erschüttert, zerrüttet. Gefangen in Text und Bedeutung der Zettel, in einer Maschine der Umwandlung und Konstruktion. Manchmal scheint sie ausbrechen zu können. Wind kommt auf, lässt die Zettelchen leicht flattern und treibt den Körper in die Ferne. Formt ihn zu einem Klumpen, der sich zu spalten scheint. Grenzen verschwimmen, und man blickt auf angespannte Beine, befühlt von Händen, und auf einen muskulösen Rücken, den zarte Arme umschlingen. Ausgestellt und völlig nackt rollt sich der Körper über die Bühne, doch seine weiblichen Merkmale bleiben verdeckt hinter dem Rücken, sind nur zu erahnen. Zarte Xylophonklänge lassen die Tänzerin zum sorgfältig ausgebreiteten Rock zurückkehren. Über den Kopf gestülpt, zerteilt sie damit abermals ihren Körper. Vorne und hinten, unten und oben verlaufen ineinander. Frau, Mann, Kind und Madonnenfigur werden erkennbar. Und der Körper bleibt auf der Suche nach Identität...
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