Kontinuität
Goyo Montero bleibt bis 2028 Ballettdirektor in Nürnberg
Ihre erste Aufgabe in Nürnberg entsprach nicht ganz dem klassischen Tänzer-Ideal: sie steppten, swingten und sangen im Ninotschka-Musical „Silk Stockings“. Die neue, auffällig junge Tanzkompanie am Nürnberger Staatstheater tanzt auch in den Musicalproduktionen des Hauses mit, das war eine Bedingung des neuen Intendanten Peter Theiler. Darauf hatte sich Daniela Kurz nicht einlassen wollen, die zuvor zehn Jahre lang den Tanz in Nürnberg leitete. Als ihren Nachfolger zog Theiler vor einem Jahr mit Goyo Montero einen relativ unbekannten Namen aus dem Hut: Der erst 33-jährige Spanier, ehemals Solotänzer in Leipzig, Antwerpen, Wiesbaden und Berlin, übernahm mit „Benditos Malditos“ zunächst ein zwei Jahre altes Stück und zeigt nun mit „Romeo und Julia“ seine erste Uraufführung in Nürnberg. Das Premierenpublikum war hin und weg, fiel in rhythmisches Klatschen und bejubelte die Tänzer und das Philharmonische Orchester Nürnberg unter Philipp Pointner eine Viertelstunde lang.
Montero choreografiert eigentlich ganz ähnlich wie Kurz, auf klassischer Grundlage mit stark modernen Einflüssen (und bei dieser Produktion nicht auf Spitze). Aber bei ihm sieht es kraftvoller und sinnlicher aus, weniger intellektuell oder gar verkopft, wie es manchmal bei Kurz der Fall war. Er meißelt die tragische Liebesgeschichte in klaren, starken Bildern aus Prokofjews Partitur heraus, streicht einiges an der Musik und reduziert auch die Figuren, so werden die Amme und Lady Capulet von einer Tänzerin gespielt, deren Verwandlung auf offener Bühne stattfindet.
Montero erzählt von einer Liebe, die von Anfang an zum Untergang verdammt ist. Dieses Fatum symbolisiert der Choreograf in der neu erfundenen Figur von Mab, der Feenherrscherin, von der Shakespeare seinen Spaßmacher Mercutio in einem langen Monolog erzählen lässt (der übrigens in einer Art jungenhaft verspielten Pantomime auch tanzend nachgestellt wird). Montero macht aus Mab den Dreh- und Angelpunkt des Stücks – einen dunklen Schicksals- und Todesengel, der in Person des schmalen, androgynen Tänzers Rafael Rivero durchs Stück wandelt, der Personen hervorzaubert und verwandelt, in die Rolle des Herzogs von Verona schlüpft oder als lästige Spinne den Freunden Romeo und Benvolio auf den Schultern sitzt und den sterbenden Mercutio mit ausgebreiteten Armen empfängt. Er wird, in einem Kniff à la John Neumeier, immer wieder sekundenlang zum Spiegel und zum Alter Ego der Figuren, geht lautlos wie ein Grabeshauch durch die Szenen und lässt sie einen Lidschlag lang stillestehen. Bei all den schönen Bildern aber – so „entschwebt“ etwa Julia am Ende des Balkon-Pas-de-deux auf den Schultern des unsichtbaren Schicksalsboten wie von Geisterhand – stilisiert der Choreograf seinen dunklen Spielemacher rein äußerlich zu sehr als Jesusgestalt und lässt ihn leider auch Verse zitieren, im schönsten Shakespeare-Englisch zwar, mit allzu deutlichem spanischem Akzent und deshalb meist unverständlich.
Die Liebenden selbst kreisen im glücklichen Taumel umeinander, ihre Bewegungen ergänzen sich immer wieder spiegelbildlich und fließen ineinander; der Mangel an choreografischer Substanz in ihren zentralen Pas de deux verschwindet gewissermaßen hinter einem Übermaß an Yin und Yang. Vor allem Julia kommt einfach zu kurz: Mathilde van de Wiele erinnert an Mats Eks Giselle, sie tanzt eckig, kindlich und ungestüm, aber Montero gönnt Ihr nichts Zartes, Mädchenhaftes, nimmt ihr den Zauber der erwachenden Frau. Die Männer dagegen wirbeln, drehen und springen athletisch über die Bühne, sie kann der Choreograf auch wesentlich besser charakterisieren – den bärtigen Mercutio (Saúl Vega) als gauklerhaften Spaßmacher mit Hut, den liebenswerten Benvolio (Christian Teutscher) und den von Mädchen umschwärmten, aufbrausenden und ganz aus dem Augenblick heraus lebenden Romeo (Carlos Lázaro). Rein choreografisch fällt bei all dem spontanen Schwung, bei all der Energie seiner Bewegungen die Vernarrtheit des Choreografen in Schleuderfiguren auf, ob direkt auf dem Boden oder an den Händen hängend knapp über dem Boden, auch lässt er die Frauen etwas zu oft fröschlings von vorne auf die Männer springen.
Immer wieder vervielfacht und verstärkt das Corps de ballet hinter den Protagonisten das Geschehen: mit Romeo und Julia versinken sieben weitere Paare im innigen Kuss, bei Romeos Mord an Tybalt dräut hinter ihm sein Entsetzen in einer keilförmigen Phalanx aus wütenden Spiegelbildern. Lebensgroße, leere Figurinen mit hohlen Masken sorgen für einen kurzen Schock-Moment beim Ball im ersten Akt, der übrigens genau wie bei Jürgen Roses Cranko-Ausstattung in Schwarz und Gold gehalten ist, hier aber eher in der Mafia-Version. Ansonsten wird die Grundfarbe Schwarz in der minimalistischen, klaren Ausstattung von Verena Hemmerlein und Montero nur in sparsamen Andeutungen variiert, die streitenden Familien unterscheiden sich rein optisch überhaupt nicht. Rechts und links erinnern hohe Metallgestänge, an deren Stangen die Tänzer manchmal über zwei Stockwerke herabsausen, ein wenig an die „West Side Story“, zwei mächtige Quader geben Schauplätze frei, bilden bedrohte Zwischenräume oder dunkle Hintergründe. Es gibt bei Goyo Montero weder Degen noch Dolche noch Gift – die Kämpfe werden mit Schlägen und Tritten ausgefochten, oft recht brutal, und die Liebenden sterben an gebrochenem Herzen.
Julia aber verweigert sich zuletzt dem düsteren Schicksalslenker Mab, sie reicht ihm nicht die Hand, sondern kriecht zurück zu Romeo, um dort zu sterben. Wenn der Choreograf schon nicht an die Macht der Liebe glaubt, die bei ihm genauso von Queen Mab gelenkt ist wie der Tod, wenn er uns schon den schönen Moment der ersten Liebe auf den ersten Blick raubt, so entzieht er dem Schicksal wenigstens in einer letzten Geste seine Allmacht. Es ist wahrlich nicht leicht, neben der so klar erzählten und bisher nie übertroffenen Fassung John Crankos zu bestehen – umso stärker beeindruckt diese kleiner besetzte, modernere und doch ähnlich klare, stringente Version.
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