Autowrack mit Wasseropfer
Doppelabend „La Valse“ von Stephan Thoss und „Le Sacre de Printemps“ von Edward Clug am Theater Altenburg-Gera
Die 30. Geraer Ballett-Tage präsentieren das ThüringenBallett und Gäste
Zur Eröffnung des Jubiläums boten die 30. Geraer Ballett-Tage keinen Geringeren als Igor Stravinsky auf. Choreografien zu zwei seiner Jahrhundert-Kompositionen bündelte der Auftaktabend dessen, was 1976 unter Ballettchefin Inge Berg-Peters in noch bescheidenem Umfang begann und sich innerhalb von – wer hätte das damals geglaubt? – drei Dezennien zum Internationalen Tanzfestival Thüringen gemausert hat. Opulente neun Tage dauert es diesmal, feiert die Kunstgattung Ballett und ist offen für neue Tendenzen. Wie unterschiedlich Tanz sein kann, bewies jene Hommage an Stravinsky. Sie vereint 1910 und 1913 entstandene Musiken in jüngeren Choreografien.
Vor mehr als 20 Jahren schuf Uwe Scholz im Zürcher Engagement seinen „Feuervogel“ und verwendete dazu nicht die volle Partitur, sondern die kürzere „Ballettsuite für Orchester“ von 1945. Was er später auch in Stuttgart, Leipzig, Berlin einstudierte, hatte Ausstatterin rosalie in ein raffiniert technizistisches Ambiente verpackt. Für Gera entwarf Juan Léon eine weniger aufwändige, dafür klare Dekoration: ein scheibenartiger Hänger als Hintergrund vor sich kreuzenden Leuchtstäben für den Zaubergarten, ein Gespinst aus verstrebten konzentrischen Kreisen für Kaschtscheis Reich. Die Choreografie kommt darin konzentrierter zur Geltung. Ihr Vorzug ist jeglicher Verzicht auf Gestik, ihr Nachteil, dass sie die Handlung allenfalls mit sinfonischem Gestus erzählt. In einem angespitzten „Bleistift“ fährt Prinz Iwan in jenes Zauberreich ein, trifft dort auf den Feuervogel, den Yoshito Kinoshita mit feinnerviger Körperplastik gestaltet. Ohne ernstlich bedroht zu sein, schenkt er dem Prinzen einen Zauberstein. Orientalisch gewandet werfen sich die verwunschenen Prinzessinnen goldene Äpfel zu; einzig Iwans Pas de deux mit Elena Tumanova als filigraner Zarewna gerät emotionaler. Kaschtschei und seine Dämonen, kahlköpfige Wesen wie aus dem Computerdesign, setzen den Prinzen in klaustrophobisch enger Glaskapsel Lichtschocks aus. In letzter Minute eilt der Feuervogel zu Hilfe, lässt lakonisch die Kugel mit Kaschtscheis Machtkonzentrat verglühen. Stolz ziehen da zur Apotheose die befreiten Mädchen mit langen Schleppen ihren Kreis um das vereinte Paar. Musikalisch bis in die letzte Faser ist Scholz’ „Feuervogel“ als Versuch einer bedrohlich heutigen Lesart, gehört indes wohl zu den weniger gelungenen Arbeiten des begnadeten Choreografen.
Auf Spitze verzichtet Nils Christe gleich ganz in seinem 2007 für Kiel kreierten „Sacre du Printemps“ und verwickelt acht Frauen und neun Männer in einen Rausch aus zeitgenössischer Bewegung. In Thomas Ruperts Arena aus hängenden grünen Bändern, die sich während des Stücks herabsenken, treffen sie zusammen und tanzen sich, bisweilen vor Erregung zitternd, in eine Initiationsekstase. Geschickt vermeidet der Gera bereits mehrfach verbundene Holländer jeglichen Hinweis auf ein Opfer, lässt Einzelne aus der Masse auftauchen und in ihr wieder verschwinden. Männer gehen wie kämpfende Saurier aufeinander los, wölben liegend ihr Genital den Frauen entgegen, streben mit ihnen gemeinsam einer Lichtquelle zu. Auch Christe arbeitet musikfühlig mit rein tänzerischer, teils enorm virtuoser Form, fügt Paare, löst sie wieder auf. Aus der tobenden Rage stürzt links außen ein Mädchen tot zu Boden, beiläufig, ohne zentrales Ritual: Jeden trifft es irgendwann. Das überrascht ebenso wie das fulminant auftrumpfende ThüringenBallett, das mittlerweile in vielen Stilen daheim ist.
Gäste von Format hat es sich fürs Festival eingeladen: aus Spanien die Companía Nacional de Danza 2 mit Werken von Nacho Duato und Tony Fabre, aus Lettland das Nationalballett mit „Le Corsaire“, aus Leipzig Heike Hennig & Co. mit „ZeitSprünge“. Die Tanzcompagnie Gießen beschwört die „Welt der Engel“, die Staatliche Ballettschule Berlin bietet Torsten Händlers „Ein Sommernachtstraum“, Pina Bauschs Ex-Dramaturg Raimund Hoghe zeigt sein symbolhaftes Tanztheaterstück „Swan Lake, 4 Acts“. Schnupperkurse locken Neugierige in den Probesaal, Workshops Schüler in die Bühne am Park, alle zusammen dann zu Gespräch und Party ins Festivalzelt. Bis 26.6.
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