Autowrack mit Wasseropfer
Doppelabend „La Valse“ von Stephan Thoss und „Le Sacre de Printemps“ von Edward Clug am Theater Altenburg-Gera
In Gera lässt Davide Bombana „Eine Faust-Symphonie“ tanzen
Die Historie von „Faust“-Balletten liest sich wie ein Abriss der Tanzgeschichte. Zwei verschiedene Pantomimen nach dem alten Volksbuch gab es bereits 1723 in London, Bournonville steuerte 1832 ein „Faust“-Ballett bei, Heine schrieb 1847 ein vielfach inspirierendes Libretto. Paul Taglionis „Satanella“ folgte 1852 in Berlin, die erfolgreichste „Faust“-Version schuf indes 1848 Perrot nach Goethes Tragödie Teil 1 für Mailand, darin Fanny Elßler als Gretchen, Perrot selbst als Mephisto. In der Inszenierung für Petersburg 1854 war Petipa der Faust. „Fausts Verdammnis“ 1964 in Paris, „Notre Faust“ 1975 in Brüssel verdanken sich Béjart. Vom Ruch des Skandals umweht war eine andere Version: Marcel Luiparts Uraufführung von Werner Egks „Abraxas“ frei nach Heine wurde 1948 in München wegen sittlicher Anstößigkeit abgesetzt und so zum Politikum.
In Gera hat sich ein Italiener an jenem grüblerisch deutschen Stoff versucht, stützt sich auf Goethes Teil 1 der Tragödie und unterlegt seiner Fassung Franz Liszts „Faust-Symphonie“ von 1854. Sie gab dem zweistündigen Ballett auch den Titel, der Davide Bombana relative Freiheit in der Erzählweise bietet. Obwohl er den zweigeteilten Abend in 30 Szenen aufteilt, eng nach Goethe, ist er somit nicht gebunden, ein Handlungsballett im stengeren Sinn zu kreieren. Die Lesart des versierten, in Mailand zum Tänzer geschulten Choreografen mit weltweitem Arbeitsfeld setzt die Kenntnis der Geschichte voraus und umhüllt sie mit reichlich Tanz, spart Pantomime aus und verwendet dafür, angeregt von der bisweilen gewaltigen Musik, sinfonische Strukturen.
Den abstrakten, zeitlosen Charakter der choreografischen Anlage bedient auch Dorin Gals Ausstattung. Leder tragen Mephisto und seine Wesen, unter denen drei gefallene Engel in knappstem Slip für den luziferischen Aspekt sorgen. Auerbachs Keller und das Walpurgisnacht-Bacchanal bringen in dieser Kostümierung einen Hauch von Sado-Maso-Party ein. Bombana schlägt damit wohl auch eine Brücke ins Heute. Sein alter Faust quält sich vor einem Gewirr von Leibern und einem Hänger voller Zahlen, bis aus einem roten Spalt Mephisto mit Grauhaar erscheint und ihm eine Glitzer-Helena als Vision vorgaukelt. „Im Anfang war das Wort“, skandieren zu beiden Seiten des Proszeniums Chorsänger. Faust trinkt sich jung und fordert, laut Szenenfolge, Gott heraus: Scheinwerferbatterien fahren dazu erdrückend herab. Mephisto schmiegt sich ihm im Duett schmeichlerisch an, bis der Pakt geschlossen ist. Frau Marthe schubst da schon mit der Schulter Gretchen ins Rennen, kommt für sich mit dem Teufel rasch ins Benehmen.
Akrobatisch, geschmeidig, bodenverhaftet, unruhevoll ganzkörperlich ist die Bewegungssprache für die Wesen, die Gretchen versuchen; in einem verspielten, skurril-animalischen Duo will Valentin sie schützen. Noch steigt Gretchen über die wie ein Fallstrick ausgestreckten Beine von Faust und Mephisto, Marthe stupst sanft, Gretchen findet sich im ersten Liebesduett mit dem Verführer: katzenhaft, mit Schleuderflügen wie beim Eiskunstlauf. Drei verschiebbare gläserne Gitter flankieren die Seiten.
Aus dem Funkelschal, der Gretchen betören soll, entwickelt Mephisto Faust. Schönstes Bild jenes ersten Teils ist die Szene im Steingarten. Mephisto und Marthe hinter, Faust und Gretchen vor Gaze wechseln flirrend ihre Position, wie Kreusa streift das Mädchen das Glitzerkleid über, nach der Verführung zu friedvoller Musik schreitet Faust kalt vom Lustort, sie legt angstvoll das Kleid ab.
Im Teil nach der Pause will Faust in einem Globus-Skelett zum Kern der Erkenntnis vordringen, nimmt keine Notiz von Gretchens Pein, als ihr des Teufels Wesen das Baby entreißen. „Dies irae“ rufen Büßer, im roten Schlund fährt Mephisto zur Walpurgisnacht herab: einer Riesenplastik wabernder Leiber. Lust findet Faust hier, Befriedigung nicht, vorn balanciert das wirre Gretchen ins Globus-Gefängnis. Zu dramatischer Musik wird Valentin nach furiosem Sprungkampf gemeuchelt, Faust tut verzweifelt. Als Apotheose schiebt der Choreograf nach, was Liszt seiner dreigeteilten Komposition für die Uraufführung 1857 angehängt hat: „Alles Vergängliche ist Gleichnis“, „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan“ für Männerchor und Tenorsolo. Helena wird dazu von Menschenpaaren angebetet, vereint sich mit Faust. Da kommt der Schwerenöter aber verdammt glimpflich weg.
Mutig ist diese Lesart, ob Faustisch, mag dahinstehen. Brillant wirft sich Geras leicht gewandete Kompanie in den Tanzparcours und sieht bestechend gut aus. Martin Svobodnik als Jung-Faust, Alina Dogodina auf Spitze, Vitalij Petrovs Mephisto, die drei gefallenen Engel Kinoshita, Dagva, Shimizu tragen solistisch einen anregenden Beitrag zur Faust-Rezeption für die Tanzbühne – vom Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera unter Jens Troester respektabel live begleitet.
www.tpthueringen.de
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