Ein Denkmal für Petr Pestov
Seine Schüler erinnern sich an ihren Lehrer
Ehrung für Petr Pestov: Die Matineen der John-Cranko-Schule
Gleich vier Schulaufführungen bestritt die Stuttgarter John-Cranko-Schule dieses Jahr, dreimal mit neuen Choreografien im Schauspielhaus, einmal mit der Klassik im Opernhaus. Diese Matinee war „Peter dem Großen“ gewidmet, dem 80-jährigen russischen Lehrer Petr Pestov, der zu seinem Geburtstag bereits in New York und Moskau mit großen Galas geehrt worden war. Diesmal standen nicht Vladimir Malakhov und Nikolai Tsiskaridze bei ihm Schlange, sondern „nur“ seine jetzigen Akademieschüler und all die ehemaligen, die heute im Stuttgarter Ballett tanzen. Alle überreichten ihrem ohnehin mit Blumen überhäuften Lehrer eine Rose, die lange Reihe endete mit Evan McKie und Alexander Zaitsev.
Eine Demonstration seiner ausgefeilten Übungen zeigte, worauf Pestov so großen Wert legt: auf leichte, federnde Sprünge, auf schön phrasierte und punktgenau zu Ende geführte Spannungsbögen, auf die Musikalität seiner Schüler. Langsam steigerten sich die Übungen vom Kleinen ins Große, eine Schule auch für unsere Ballettzuschaueraugen, wie sich aus dem akademischen Material, wenn es so sauber und ausgefeilt poliert wird, langsam und quasi natürlich der spektakuläre Tanz entwickelt, den wir alle bewundern wollen.
In den klassischen Variationen stach dann gleich der nächste Pestov-Lehrling ins Auge, der schmale, agile Mexikaner Gustavo Echevarria, zur Zeit noch in der sechsten Klasse, aber bereits mit solch formidabler Technik und einer schönen, feinen Phrasierung ausgestattet, dass man sich fast fragt, was er noch lernen will. Dass nicht nur in der Akademie, sondern bereits in den mittleren Klassen leicht und unangestrengt getanzt wird, zeigten Kim Falke, Miriam Konnerth und Luciano Crestto im „Nussknacker“-Pas-de-trois, Takahiro Tamagawa mit raffiniert variierten Drehungen in einem „Paquita“-Solo oder die goldig puppenhaft dahinschnurrende „Spieluhr“ mit Elisabeth Harwardt und Lorenzo Angelini. Mit feinen, auf leichter Spitze dahinhuschenden Diagonalen waren Didem Saglam und Isabella Staneker die Perlen zu Echevarrias Ozean, das Unterwasser-Divertissement stammt aus dem alten russischen Klassiker „Das bucklige Pferdchen“.
Sämtliche Schüler ab der dritten Klasse vereinte die lange „Hommage à MJ“, gemeint ist der vor einem Jahr verstorbene King of Pop Michael Jackson. Zu einer eher nachdenklichen Collage seiner Hits ließ der bekannte Pop-Choreograf Selatin Kara die zuvor noch so ätherischen Balletttänzer ganz sie selbst sein – Kinder und junge Erwachsene in Jeans und T-Shirts, barfuß oder in Turnschuhen, mit herausforderndem Grinsen und lockerem Schulterzucken. Jeder in seinem Lichtkegel stehend, packten die Jungs ihre Silberhandschuhe aus, das Motto hieß: weg von gerader Haltung und gereckten Köpfen, hin zu coolen Moves und zum satten, wilden Street Dance von heute. Man kam sich vor wie beim neuesten Tanzfilm im Kino, eine tolle Show!
Beim Programm im Schauspielhaus stand die Interpretation neuer Choreografien im Vordergrund. Die jüngeren Schüler zauberte Hilke Rath beim effektvollen „Im Fluss“ hinter wehenden Cellophan-Bahnen auf die Bühne und wieder weg. Auch ihr fröhliches „Frei vom Hocker“ zeigte die jungen Schülerinnen mädchenhaft und frei, in einem natürlichem Fluss der Bewegungen. Mit Akademiestudent Louis Stiens hat die Cranko-Schule einen eigenen Choreografen in ihren Reihen, sein introvertiertes und doch so ausdrucksvolles Solo „Mäuse“ für Robert Robinson war schon beim Noverre-Abend zu sehen und stand hier dem neuen Pas de deux „Ohne Titel“ im strengen, etwas distanzierten Stil Hans van Manens gegenüber: eine erstaunliche Bandbreite choreografischen Vokabulars. Clemens Fröhlich und Chantal Fink waren die intensiven Interpreten.
Schulleiter Tadeusz Matacz hatte noch zwei junge Gäste von anderen großen Schulen eingeladen, die mit den Akademieklassen ihre Choreografien einstudierten. Sasha Riva von John Neumeiers Ballettschule zeigte mit „Words Unsaid“ ein melancholisches, eindrückliches Stück über vergebene Chancen. Immer wieder wechselten die drei Paare ihre Zusammensetzung, die Mädchen zogen nacheinander ihre Spitzenschuhe aus und warfen sie hinaus. Andeutungen wie stumme Schreie oder sehnsüchtig gestreckte Hände waren sparsam eingesetzt, dafür nahm sich Riva Zeit für langsame Entwicklungen und praktizierte nicht das gehetzte Arme- und Beinewerfen so vieler junger Choreografen. Florent Mélac studiert am Pariser Konservatorium und legte in seinem Stück „A Corps, Essence“ mehr Wert auf klassische, virtuose Bewegungsqualitäten als auf Inhalt. Vier Paare standen sich in zwei Gruppen gegenüber, die Linien stimmten nicht immer so exakt überein, wie es das Stück wohl erfordert hätte. „Porto que sinto“, ein Stück der portugiesischen Lehrerin Catarina Antunes Moreira, strahlte zu spanischer Gitarrenmusik vor virtuoser Vitalität. Zwei fliegende Jungs in weiten Hosen beweisen ihre innere Spannung und enorme Sprungkraft, neben Gustavo Echevarria merken wir uns ab sofort auch den Namen des Österreichers Theophilus Vesely, der in Wien immerhin bereits Guyla Harangozós „Nussknacker“ war.
Den einstündigen Abschluss aller vier Abende bildete John Crankos drolliger Schwank „Pineapple Poll“ mit seinem britischen Gilbert & Sullivan-Humor. Nächstes Jahr wird das Stück 60 Jahre alt und macht mit seinen exzentrischen Gestalten, mit den angeklebten Matrosenbärten und dem feschen Kapitänsgehabe immer noch Spaß. Nun ist es nicht so schwer, die karikaturistisch hinskizzierten Operettenfiguren effektvoll zum Leben zu erwecken, aber die Akademieschüler spielten die Pantomimen so liebenswert und spontan, ohne je zu übertreiben, dass sie dem Namensgeber ihrer Schule die schönste Ehre machten (besonders herrlich: die ununterbrochen plappernde Matrone von Jennifer Mann). Anais Bueno Garces, Absolventin von 2007 und seitdem im Corps de ballet der Stuttgarter Kompanie, schmollte und strahlte als fliegende Händlerin Poll, verehrt alternierend von Alexander Bozinoff und Jurriën Schobben, lyrisch und ein wenig russisch-zurückhaltender der erste, ergreifend in seiner Trauer um die vermeintlich tote Geliebte der zweite. Miles Pertl war der seriöse Kapitän mit einem Hauch Macho, bei dessen Anblick alle Frauen in Ohnmacht fallen, federleicht in seinem Solo mit den vielen kleinen Schritten und mit entzückendem Mienenspiel, wenn er zwischen den streitenden Ladies zermalmt zu werden drohte. Das Corps hatte augenscheinlich genau den gleichen Spaß wie die Zuschauer an Crankos skurrilem Humor.
Die Matinee im Schauspielhaus wird am 24. Juli noch einmal wiederholt.
www.staatstheater-stuttgart.de
www.john-cranko-schule.de
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