Ästhetische Kälte

„Ein Sommernachtstraum“ von Jörg Mannes am Staatstheater Hannover

Hannover, 07/11/2010

Jörg Mannes, Hannovers Ballettchef, frönt der Liebe zu Handlungsballetten, sei es aus der Tanzgeschichte wie „Romeo und Julia“, „Nussknacker“, „Cinderella“, oder aus literarischen Quellen wie „Gefährliche Liebschaften“ und nun „Ein Sommernachtstraum“ nach Shakespeares unergründlichem Drama. Liebe, Lust, Leidenschaft der zwei Paare, des Herzogs und seiner Zwangsverlobten Hippolyta stoßen bei Mannes auf die diktatorische Herrschaft des Elfenkönigs Oberons, auf die starren Regeln des Egeus, Vater der Hermia, und das naiv anarchistische Ausbrechen der Handwerker. Soweit, so gut und bekannt.

Mannes lässt sich ein kühl abstraktes Bühnenbild (Florian Parbs) in zwei Teilen bauen: Vertikal vertäute dünne Schnüre sonder Zahl versinnbildlichen einen Wald, durch den sich die Personen ziemlich frei bewegen. Düstere Träume oder gar Schrecken gebiert dieser Forst nicht. Darunter öffnet sich mit dem Anheben des Waldbildes – ein schöner Coup - das Elfenreich des Oberons und seiner Gemahlin Titania mit ratzekahlen, glatten Wänden wie denen einer Lagerhalle. Klar – Mannes will die märchenhafte, zauberische Stimmung, mit dunklen Tönen grundiert, meiden und setzt auf Drive. Das bezeugt auch die Auswahl der Musik: Mannes macht einen Bogen um Mendelsohn-Bartholdys seelenvolle Musik und sucht sich Kompositionen von Benjamin Britten und Frank Bridge aus, eingestreut zwei Sätze aus Händels 3. Suite in d-moll. Manchmal passt es verblüffend gut (Brittens „Simple Symphonie“), manchmal laufen Musik und Aktion völlig auseinander, weil die Choreografie etwa bei „Storm“ (Bridge) nicht mithalten kann. Unter Toshiaki Murakami musizierte das Staatsorchester Hannover die ungewohnte Vorlage kraftvoll und akzentuiert.

Besonders, wenn die Klänge Gefühle oder Melancholie hervorbringen, wirken Mannes’ klassisch bestimmte Bewegungsfolgen abstrakt kühl. Oberon wirbelt Puck (Catharina Franco, fix auf Spitze) gern herum, ihm scheint mehr an ihm/ihr als an seiner Ehefrau gelegen sein. Deren Zusammentreffen im Zorn (woher der kommt, wurde mir nicht klar) und in zurückhaltender Liebe spulen Oberon und Titania (ganz Dame auf Spitze: Karina Seneca) im Gesteneinerlei ohne Leidenschaft ab. Seneca bleibt auch im Duett mit Zettel-Esel (Pantelis Zikas gibt dem Affen Zucker) beherrscht. Zettels naturalistischer Esels-Kopf und Siebenmeilenstiefel lassen nur plumpe Kaspereien zu.

Mit den Elfen kann Mannes außer quirligem Gewusel wenig anfangen. Gar fröhlich scheinen sie nicht zu sein ähnlich wie ihr oft ziemlich griesgrämig wirkender König (Andreas Michael von Arb mit herrischer Attitüde). Beide Frauen erscheinen in weißen lang fließenden Kleidern (Kostüme: Alexandra Pitz), Hermia (Schlanker Liebreiz: Hildur Elín Ólafsdóttir) ist etwas abgesetzt mit rotem Gürtelstreifen. Helenas (technisch sauber: Keiko Nisugi) doppelte Verlorenheit im Wald und im Gefühl wird mit Mannes’ Versatzstücken selten sichtbar. Denis Piza (Lysander) und Marco Boschetti (Demetrius) müssen, ziemlich unterfordert, viel laufen und knien, individuelles Profil gewinnen sie dadurch nicht. Die Komik der Handwerker schöpfte Mannes meist krachledern aus, beispielsweise wenn sich Pyramus und Thisbe nacheinander mit einem überdimensionierten Schwert entleiben. Der quasi unverdorbene Ernst der Amateurschauspieler, die darin bei sich sind im Gegensatz zur Hofgesellschaft, bleibt in der Schublade.

Mannes’ Version erschließt dem Stück keine neue choreografische Dimension. Sie dörrt das Drama bis zu emotionalen Verarmung aus. Seine Begabung scheint mir eher auf der abstrakten, handlungslosen Linie zu liegen, wie bei seinem genialischen Ballett „LUX“.

www.oper-hannover.de / www.joergmannes.de
 

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