Noch nie – nie wieder
„Farewell!“ - Der allerletzte Auftritt des Kevin O’Day Balletts in Mannheim
Das Leben einer kranken, zuletzt an den Rollstuhl gefesselten Malerin ist ein merkwürdiger Stoff für ein Ballett, und doch findet man Frida Kahlo in letzter Zeit erstaunlich oft auf der Tanz- oder Tanztheaterbühne wieder. In ihren bunten, strengen, sowohl vom Surrealismus wie von traditioneller Volkskunst beeinflussten Bildern stellte die schöne Mexikanerin vor allem sich selbst und ihre endlosen Schmerzen dar, die sie nach einem schweren Unfall ihr Leben lang begleiteten. Johann Kresnik brachte 1992 ihr Leben erstmals in Bremen auf die Bühne, jetzt steht sie in Mannheim im Mittelpunkt eines zweistündigen Balletts von Dominique Dumais.
Dumais erzählt nicht Kahlos Biografie, sie deutet nur assoziativ Personen und Situationen aus ihrem Leben an - den Maler Diego Rivera vor allem, ihren untreuen und doch geliebten Ehemann, in kurzen Auftritten auch ihre Eltern, ihren Arzt oder Leo Trotzki, mit dem die überzeugte Kommunistin eine Affäre hatte. Die Choreografin wendet den Blick eher nach innen, ganz im surreal-gegenständlichen Stil von Kahlos Bildern. Es geht ihr um die Persönlichkeit der schmerzensreichen Künstlerin, die hier von sieben Frauen und einem Mann verkörpert wird, aufgesplittert in die verschiedensten Aspekte ihrer Person - eine Idee, die John Neumeier in seinen Handlungsballetten wie „Peer Gynt“ perfektioniert hat, die Dominique Dumais aber nicht so psychoanalytisch sezierend, nicht als eine Art Schubladendenken anwendet, sondern eher surrealistisch und assoziativ.
Die ausdrucksvolle Tänzerin Maria Eugenia Fernández, in ihrem weißen Kleid sozusagen die Essenz aller Fridas, spricht immer wieder spanische Texte aus Kahlos „Gemalten Tagebuch“, deren deutsche Übersetzung auf die durchsichtigen Leinwände des Bühnenbilds projiziert wird, genau wie überdimensional vergrößerte Details aus Kahlos Bildern, grüne Pflanzenadern etwa, die wie Blutbahnen aussehen. In Tatyana von Walsums atmosphärischer Ausstattung und der faszinierenden Beleuchtung von Bonnie Beecher tanzen die diversen Frida-Inkarnationen auf einem irreal leuchtenden Blau oder mitten in einem riesenhaften, herausgerissenen Herz. In dem großen, leeren Rahmen im Hintergrund gefrieren die Tänzer immer wieder zu Motiven aus Kahlos Bildern, wie in einem Alptraum senken sich einmal Knochen, ein Schädel, ein Fötus von oben herab.
Dumais bildet nicht ab, sondern sie assoziiert und überhöht, zeigt uns die suchende, liebende, kämpfende oder leidende Künstlerin in den verschiedensten Bildern – Frida die Kinderlose und Frida die Unkonventionelle, Frida den Archetypus Mexikos oder Frida im Stahlkorsett. Und da sich Frida Kahlo so oft selbst gemalt hat, verschwimmt auch im Ballett die Grenze zwischen Malerin und Bild, unter die Frida-Inkarnationen mischen sich Motive aus ihren Bildern: ein junges Mädchen mit Totenmaske, drei Affen, der verwundete Hirsch mit Fridas Kopf, der sich in einem quälenden Todestanz am Boden windet, während Fridas Tagebuch vom Fliegen erzählt.
Als ein weiteres einprägsames Bild wandelt Louis Laberge-Côté zuweilen als Frida in mexikanischer Tracht über die Bühne, ein fast lächerliches, aber todtrauriges Mannweib von erhabener Künstlichkeit. Nicht immer erreicht die Choreografin Dumais die Ausdruckskraft der Regisseurin Dumais, aber nie wirken die Schritte aufgesetzt oder gesucht. Mit ihrem Arzt tanzt die Malerin ein eher klassisch geprägtes Duo, zwischen die vielen expressiven Solos fügt Dumais aber auch immer wieder Ensembles ein, nicht nur für die verschiedenen Frida-Inkarnationen, die sie miteinander oder auch gegeneinander tanzen lässt, sondern auch eines für die Männer ihres Lebens. Diese großen Gruppenbilder sitzen jeweils an Kulminationspunkten des Abends, gerade für sie hat die Choreografin großartige Musik gefunden.
Denn fast noch faszinierender als der fesselnde Bilderbogen ist die Musikauswahl, bei der Dumais von Dirigent Günther Albers unterstützt wurde – ihn kann man nur jedem Choreografen als Ratgeber wünschen, der sein Handlungsballett mit selten bis nie gehörter, dabei tanzbarer, völlig unterschiedlicher und doch dramaturgisch stringenter Musik ausstatten möchte. Interpretiert vom groß besetzten Orchester des Nationaltheaters erklingt (fast) nur Musik des 20. Jahrhunderts, Werke der Mexikaner Carlos Chávez und Silvestre Revueltas, Musik von Edgar Varèse oder dem Österreicher Ludwig Nussbichler.
Von spätromantischen Impressionen über ultramodernes Percussion-Chaos, von minimalistischen Streicherelegien über die verstörenden Vogelschreie in der „Melankolia“ des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara steigert sich die Partitur dieses Balletts jeweils zu den beiden Aktschlüssen hin. Zu einer seltsam erhabenen Chaconne von Dietrich Buxtehude, die Chávez mit fast religiösem Pathos arrangiert hat, lässt Dumais am Ende des ersten Aktes fünf ihrer Fridas in langen, bunten Röcken umeinander wirbeln: innerlich zerbrochen und doch stark, zunächst unterschiedlich in ihren Tanzstilen und am Schluss doch im symmetrischen Einklang. Den Schluss des Abends bildet eine Trauermusik des Mexikaners Ramón Montes de Oca Téllez, sie erinnert an Mahlers Adagios oder den verwundeten Tristan aus dem dritten Akt von Wagners Oper; nach einem intensiven, das Innerste offenbarenden Pas de deux für Frida (Zoulfia Choniiazowa) und Diego Rivera (Tyrel Larson) bleibt eine Projektion übrig: das bühnenfüllende Selbstporträt dieses schönen Kopfes mit seinen strengen, wütenden Augenbrauen über den weinenden Augen.
www.nationaltheater-mannheim.de
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