Tanz der Extremitäten
Walter Bickmanns „Continuity“ macht im Dock 11 Zeit erlebbar
Schon der Raum hat Spannung. An der Rückwand hängen vier weiße Leinwände, den Boden bedeckt ein weißer Tanzteppich. Leinwände und Teppich in ihrer Klarheit reiben sich mit dem unverputzten Mauerwerk im Saal des Dock 11. Unscharf zerlegt und ruckhaft langsam fährt die Kamera über Leiber, Köpfe, Hände. Um Menschen, ihre Widerspiegelung im Video, die Interaktion von Bild und Realität dreht sich, was Walter Bickmann als „icon“ eine Stunde gediegen und ruhig entwickelt. Vom Balletttänzer in Wien über den Akteur bei Johann Kresnik, den Tanztheaterleiter in Stendal führte sein Weg. In Berlin gründete er 2008 eine Videoplattform für zeitgenössischen Tanz. Drei Tänzer stellt er für „icon“ auf die Szene, nur Stella Zannou liegt. Zunächst korrespondieren Akteur und Videobild, ehe sie ihr Eigenleben entfalten, sich aufeinander beziehen. Erster Höhepunkt ist Zannous Bodensolo, das mit dem zeigenden Finger des erhobenen Arms beginnt, den Arm als Motor nutzt. Zu unwirklich skulpturalen Gebilden renkt er den Körper, größer und rascher wird der Taumel über den Boden. Immer wieder suchen im Folgenden Körper ihre Begrenztheit zu sprengen.
Übernehmen die drei Tänzer zunächst Zannous Handspiel, fallen sie danach in prismatische Raster, formen daraus an den Köpfen verwachsene Doppelwesen. Das führt zu zwei parallelen Duetten, Kopf an Kopf das eine, mit verhakelten Beinen das andere. In engen Kammern sitzen separat ihre Videobilder. Was Bickmann im Live-Tanz schon hier an organisch verwobenem Miteinander ohne Kontaktverlust eingefallen ist, sucht seinesgleichen in der Berliner Szene. Im Liegekopfstand der Männer endet die Suche, die, wie den gesamten Abend, experimenteller Klang von Rauschen bis Klopfen begleitet. Wie in ihrem Solo Lydia Klements Körper knickt, beult, wieder verharrt, um neu anzusetzen, weist sie ein weiteres Mal als eine der führenden Berliner Tänzerinnen aus. Eng und intensiv fällt auch alle weitere Kommunikation der Gestalten aus, ob verklebt wandernd Rücken an Rücken oder in Übereinander-Staffelung der Köpfe. Dass manches an Balanchines „Verlorenen Sohn“ oder Nijinskas „Les noces“ erinnert, mag Zufall oder legitime Inspiration sein.
Fußschlurfen am Platz baut der Choreograf zu manischem Scheuern des Bodens mit dem Knie aus, lässt die Szene mit einer Metapher der Einsamkeit enden: Würgend, zitternd, in konvulsivischem Schütteln kulminiert sie. Aus solidarischem Schmiegen der zwei Frauen wird ein Duo, in dem Zannou ihre willenlose Partnerin am Kopf gefasst umhebt, schleudert, schließlich sanft ablegt. Wie eine Raupe durchbohrt auf dem Video ein Finger Papier, während die Frauen verknäult das Renksolo des Beginns zitieren. Zum Bild eines sich verknotenden Schlauchs geraten Erol Alexander und Andy Zondag in roboterhaft hektische Trance, kontrastieren so die Langsamkeit der beiden Frauen. Die lassen sich rückwärts gefasst auf ein Duo ein, das die Armarbeit des Anfangs brillant fortsetzt, während im Video ein Gesicht über die Tastatur eines Computers schrammt. Die Männer lösen das Frauendoppel auf, doch Zannou verweigert wieder, diesmal geklappt als Taschenmesser, ihre Körpergrenzen, dreht, renkt den Torso in skulptural beinah absurde Posen. Zu Lautfetzen vom Band krabbeln die Tänzer vor, rück wie Reptilien, grinsen dazu von der Leinwand, rastern sich zur Grafik auf, werden Ikone, bis sie gänzlich in der weißen Fläche aufgehen. Dunkel schluckt da abrupt die Bühne.
Wieder 30.6., 1.-4.7., 21 Uhr, Dock 11, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg, Kartentelefon 448 12 22, Infos unter www.dock11-berlin.de
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