Standbild in Dauerscheife

Im EDEN betreibt Jo Fabian als Großversuch seine „PI morphosen“

Berlin, 06/12/2010

Das Bühnenbild ist wieder großartig. Weißer Grund dehnt sich im EDEN bis ans Ende der Szene. Umhängt wird sie in unregelmäßigem Abstand von schwingbaren Bambusstämmen, zwischen denen Funzeln in baumelnden Halbschalen brennen. Rechts in der Tiefe erwartet ein Flügel seine Spielerin, links kauert eine dunkle Gestalt; auf der Hintergrundleinwand schaukelt ein Planet, irrlichtern helle Punkte. Erste Bewegung in das fragile Mobile bringt eine nachtblau Verhüllte, die von ihrem Sitz aus, einem eiförmigen, aufgerissenen Block, im langen Volantkleid so stolz wie langsam zum Flügel wandelt. Eine Stimme brabbelt die ganze Zeit, und dann immer wieder, auf das stille Bild ein. Erst fährt ein Miniaturschiff auf die Bühne, die Kauernde erhebt sich auf ihre Drahtsohlen, 17 Spielerinnen folgen: Mit langen Pilgerstäben defilieren sie vom Umgang her durch den Bambus auf die Szene, hölzerne Kothurnen an den Füßen, unter hohem Kopfputz schwarz verhüllt wie biblische Gestalten oder den Blicken entzogene Muslima. Hehr leitet Jo Fabian seine neue, gut subventionierte Großproduktion ein, lässt die ragenden Figuren mit Stöcken rudern, als seien sie vervielfacht der Schiffer Charon, der die Toten ins Jenseits übersetzt. Donner grollt, Meer rauscht, und doch verhandelt Fabian nüchtern jenen Proportionalitätsfaktor Pi, der Kreisumfang, Radius, Kreisflächeninhalt ins Verhältnis bringt und als transzendente Zahl nur in Näherung existiert. „PI morphosen“ nennt sich, was 100 Minuten über die EDEN-Bühne wabert.

Um das Theatermodell der Zukunft, sagt Fabian, gehe es, und das bestehe aus Energien in permanenter Umwandlung: Aus Mathematik entsteht Leben. Getreu diesem Leitsatz versetzt er skulptural erstarrte Tänzerinnen in Einzel- oder Gruppenaktion, mit einer orientalisierenden Gestensprache, als seien unsere Altvorderen der Tanzmoderne auferstanden, Ruth Saint-Denis, Sent M’ahesa. Auch die Mudras des indischen Tanzes standen Pate. Zu Klavier, minimal music, Geräusch, Stimmen als Tonunterlage passieren rätselvolle Dinge: Eine Metallkugel rollt, die Frauen legen ihre Kothurnen ab, bewegen sich dennoch auf hoher halber Spitze, hinterlassen Schleifspuren auf dem weißpulvrigen Grund, dessen Feinstaub die Luft vernebelt. Lange fasziniert Fabians geordnete Unordnung: die Tänzerin mit Buch auf dem Kopf oder roter Blume in der Hand, Blütenblätter werfend; zwei rotierende rote Ventilatoren in der Höhe; das vibrierende Spiel schwarzer Fächer; ausgelenkte oder gebündelte Bambusstämme, was den Raum luzide macht, seinen Gefängnischarakter aufhebt.

Greller Rhythmus bricht bisweilen ein; im Video entzündet sich einer Giraffe der Rücken, laufen Bilder vom Universum, Namen wie Karajan und Le Corbusier mit Lebensdaten, zum Ende hin dann knifflige mathematische Gleichungen. Eine Frau zieht an einer Kette den Block zur Mitte, hängt ihn auf, ersetzt ihn durch einen kleineren, lässt klirrend die Kette fallen. Zu beiden Seiten rudern Hockende mit den Stäben wie auf einer Barke; wer nicht im Bambuskarree ist, findet sich mit zerdehnter Aktion im Umgang. Gebrechliche werden beschirmt, Tierähnliche krabbeln. Viele Motive, Frauen mit Dreschflegeln im Joch oder Stäbchen auf dem Kopf, komponiert Fabian seinem verlebendigten Kolossalgemälde ein, zitiert dabei das eigene „Bildarchiv“. Ob Tiere an Gott glauben, man in Liebe mit Bäumen sein könne, lässt er fragen, eine Tänzerin über Geometrie, Schönheit, die Zahl Pi parlieren. Da haben sich die Frauen schon vom Schleier befreit, kommen mit BH, Langrock in drei Reihen zu tackerndem Rhythmus in Endlosschleife auf den Zuschauer zu. Ermüdend wirkt das, denn: Wissenschaft zielt aufs Objektive, Kunst indes aufs Subjektive. Genau dieses subjektiv-menschliche Element geht Fabians unterkühlter, überlängter Pi-Suche zu rasch verloren.

Wieder 9.-12.12., 20 Uhr, EDEN, Breite Str. 43, Pankow, Kartentelefon 351 20 312,
Infos unter www.dock11-berlin.de

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