100 Jahre ikonisches Markenzeichen
Friedrichstadt-Palast feiert die längste Kickline der Welt
Doppelt besetzt und einfach gelungen: „Träume brauchen Anlauf“ im FriedrichstadtPalast
Mehr als 1000 Kinder bewerben sich jedes Jahr um Aufnahme ins „junge Ensemble“ des FriedrichstadtPalasts. Was erst schlicht Kinder-Varieté, dann Kinder-Revue hieß, beruft sich auf mehr als 60 Jahre Tradition seit den ersten Auftritten 1945. Wer heute zu den reichlich 250 Mitgliedern zwischen 6 und 16 zählt, darf sich glücklich schätzen, wird, je nach Neigung und Talent, profund ausgebildet. Die Crème de la crème, rund 130, hat es bis in die Produktion auf der riesigen Palastbühne geschafft. „Träume brauchen Anlauf“ weiß sie und verspricht im Untertitel „Eine Weltreise durch Berlin“. Ein Stab fast so umfangreich wie in der „großen“ Revue zeichnet verantwortlich; bei der, „Yma“, hat die „kleine“ Revue auch kräftig genippt. Das ist nicht nur legitim, sondern nutzt Erfahrungen und hält technischen Aufwand in Grenzen. Um eine Idee von Clemens Füsers herum und in Klaus-Peter Rentels Regie ist das Stück entstanden. Es greift auf die reale Situation der Kinder und Jugendlichen zurück: Alle haben sich einst zur Aufnahme ins „junge Ensemble“ vorstellen müssen. In den „Träumen“ geht es freilich um mehr, den Traum vom ganz großen Erfolg, der häufig mit der Teilnahme an einem Casting beginnt.
Zumindest in ihrer Fantasie gehen die 13 Darsteller tatsächlich auf Welttour, denn so multikulturell wie Berlins Jugend sind auch ihre Hoffnungen aufs Berufsglück. Beim Casting treffen sie zusammen, mit viel Showgebaren und, Ali gibt es schließlich zu, etwas „Schiss“. Treffend individualisiert sind sie durch ihre Nationalitäten aller Kontinente. Zuspätkommer Ali träumt einen orientalischen Tanz, der im „Halbmond-Gangsta-Rap“ mündet, mit Breakdance-Einlagen und der mitschaukelnden Karosserie eines Straßenkreuzers. Vannee und Shanti sind aus Begeisterung fast selbst zu Manga-Mädchen geworden, fabulieren im virtuellen Videocomic den Tanz der Kriegerinnen des Lichts. Giulia leidet unter der Trennung der Eltern, Yvonne unter ihren Nicht-Model-Maßen. Um die Welt zu verändern, braucht es aber starkes Hirn und nicht nur knackigen Hintern. Eingebaut in ihren Song ist, einzige Profis des Stücks, das U-Show Team aus „Yma“ mit seiner fabulöser Arbeit auf dem Trampolin: am Boden und eine Hauswand hoch.
Jungjournalistin Ricarda blitzt bei Tänzer Ivan ab, dem es nur um Ballett geht, kann aber im Stepp punkten; der Winzling Ayush hat sich in eine Bollywood-Schönheit verliebt. Da fährt selbst Alexander Bettes Bühne zu Höchstform auf: Gewitterregen ergießt sich in Herzform, Tanz versinkt knöcheltief im Wasserbecken. So fantasiereich geht es im Teil nach der Pause weiter. Halloween feiern illuminierte Kürbisse, in „MJ Power“ eifert little Joey hinreißend echt seinem Idol Michael Jackson nach, bringt sogar Laser zum Tanzen. Suna zieht es inmitten virtueller Totems und Masken ins trommelnde Afrika, Aki mit dem Tick zur Luftgitarre entführt Ali auf den Friedhof der Kuscheltiere, mit dampfendem Sarg und Gespenstern. Auch eine Capoeira-Gruppe erscheint beim Casting, Heimkind Fernandas Traum von der Samba wächst sich zum wirbelnden, von Anja Diefenbach prächtig kostümierten Bild aus. Dann das Jury-Urteil: Keiner hat es geschafft. Gemeinsam kommt eine Show für die Berliner Bezirke zustande, Feuerwerk feiert das pädagogisch wertvolle Finale: Der Weg ist das Ziel.
Soviel Einsatz an Technik für eine Kinderproduktion, empfohlen für Gäste ab 5, gab es noch nie. Vier Komponisten sind zündende Musiken, Michael Sens die einfühlsamen Dialog- und Songtexte zu danken; die fünf Choreografen waren gut beraten, wenn sie auf spielerische Umsetzungen bauten. Dass zur umjubelten Premiere schon 58.000 der 80.000 Tickets verkauft waren, wundert nicht.
Bis 28.1., FriedrichstadtPalast, Friedrichstr. 107, Mitte, Kartentelefon 2326 2326, Infos unter www.friedrichstadtpalast.de
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