Eine Liebeserklärung an den Tanz

Das Ballett Rossa mit dem zweiteiligen Tanzabend „Bernarda Albas Haus / Die vier Jahreszeiten“

Halle, 24/04/2011

Während die 24 Tänzerinnen und Tänzer sich beim Warm-up dehnen und strecken, Pirouetten und Sprünge markieren, schaut man in ihre jungen, offenen Gesichter. Sie sprechen über ihren Beruf, der für sie die Erfüllung eines Lebenstraums geworden ist, über Anstrengungen und Emotionen, Glücksmomente, Erschöpfung, Schmerzen und die Liebe zum Publikum. Sie reden über das Aufhören und die Zeit danach. Jeder der 24 offenbart in diesen kurzen Statements das Unverwechselbare seines Charakters, mal ernsthaft, mal ausgelassen, mal nachdenklich … Das Gemeinsame dieser ganz unterschiedlichen Ansichten über ihrer Berufung als Tänzer bringt Rafał Zeh, seit 2003 im BallettRossa, auf den Punkt: „Tanzen ist ein Passion, das ist eine Leidenschaft“. Was diesem beeindruckenden Tanzfurioso dann folgt, ist eine von Ralf Rossa choreografierte Liebeserklärung an den Tanz und ein Tänzerleben, musikalisch befeuert durch Nigel Kennedy, der (vom Band) mit atemberaubenden Kadenzen Vivaldis Violinkonzerte interpretiert. Frühling, Sommer, Herbst und Winter stehen bei Ralf Rossa als Synonym für Abschnitte eines Tänzerlebens, assoziieren als Metaphern Entstehen, Aufblühen, Verwelken und Vergehen.

Diese Abschnitte sind jeweils als Pas de six konzipiert, aus denen sich ein Paar zum Pas de deux findet, sich wieder in den Reigen der drei Paare einordnet und in einem furiosen Intermezzo in die Formation der Kompanie integriert wird. Bruchlos sind die Übergänge zu den Tanzformationen zwischen Solo und Gruppe, raumgreifend die in Kreis, Diagonale und als Reihe getanzten Bewegungsfolgen. Hier besticht vor allem die Synchronität der Bewegungen, der bis ins kleinste abgestimmte und koordinierte Rhythmus der Körper. Die von Ralf Rossa choreografierten Bewegungsmuster kann man auch aus der Vogelperspektive auf einer großen Bühnenleinwand verfolgen und bestaunen.

Die Tänzer Yann Revazov, Michal Sedláček, Dalier Burchanow und Sylvain Guillot haben hier per Video für den Zuschauer eine zweite Erlebnisebene geschaffen, die vor allem bei den Pas de deux von Hyona Lee/Dalier Burchanow (Frühling), Marion Schwarz/Yann Revazov (Sommer) und Markéta Šlapotová/Michal Sedláček (Winter) die Tänzer und ihre Emotionen mit großer Unmittelbarkeit nahe bringen. Dazwischen gibt es immer wieder Sequenzen aus den Interviews mit den Tänzern und ihre Rückkehr in die „Normalität des Lebens“ zwischen Erschöpfung, Vertrautheit, Nähe und Distanz. Und über allem singt als Synonym für Erfolg und Anerkennung Hildegard Knef „Für mich soll‘s rote Rosen regnen ...“ – was für ein Einfall!

Für die Lebensstationen der Tänzer verwendet Rossa unterschiedliche choreografische Sprachen. Im „Frühling“ lehnt er seine Choreografie an die klassische Excercice an, lässt Paare und Kompanie mit Arabesquen und Attituden, Pirouetten, Lifts, Jetés und Fouettés brillieren. Die Tanzsprache verändert sich, wird moderner, expressiver und ausdrucksstarker, die Bewegungen der Tänzer individueller, obwohl sie immer noch von großer Homogenität sind. Rossa fordert seine 24 Tänzer solistisch bis an ihre Grenzen, ohne dass sie ihre Unbeschwertheit, ihre Lust und die Freude am Tanz verlieren. Als wenn sie mit ihren Körpern immer wieder bestätigen wollen, was der Zuschauer längst weiß: „Yes, yes it was the most happiest time of my life“ (Yann Revazov).

Wenn es zwischen „Die vier Jahreszeiten“ und der Ballettpantomime „Bernarda Albas Haus“ nach Federico Garcia Lorca eine dramaturgische und inhaltliche Verbindung gibt, dann könnte es das Leben selbst sein. Während sich das Tänzerleben in aller Öffentlichkeit zwischen Unbeschwertheit und Risikobereitschaft, Hoffnung und Enttäuschung abspielt, sind die fünf Töchter der in Herrschsucht und Standesdünkel, Gefühlskälte und Selbstgerechtigkeit erstarrten Bernarda Alba in ihrem ungelebten Leben hinter Mauern gefangen, projizieren ihre (sexuellen) Sehnsüchte und zwanghafte Wunschträume auf den jungen Liebhaber der ältesten Tochter Angustias. Pepe beherrscht die Träume und Sehnsüchte aller Schwestern, er symbolisiert Freiheit und Leben; als er die jüngste Tochter verführt, wird er zum Schicksal. Geradezu erstarrt wird die aus dem Leben geschiedene Adela von ihrer Mutter in einem Ritual aufgebahrt und nur in der Fantasie der Töchter entführen sie junge Männer in das Leben.

In seiner tänzerischen Adaption des Lorca-Stückes mit der ungeheuer expressiven, oft sperrig klirrenden Musik des lettischen Komponisten Peteris Vasks findet Ralf Rossa eindrucksvolle Bilder für die seelische Verkrüppelung der Mädchen unter den Zwängen der despotischen Mutter. Sie unterbindet zu Beginn das lautstarke Aufbegehren der Töchter mit Klopfen und Trommeln durch ein gebieterisches „Ruhe“. Wie hier über Bewegung des ganzen Körpers die seelische Befindlichkeit der Personen gegenwärtig wird, wie die emotionalen Spannungen zwischen den Schwestern immer mehr Raum gewinnen, wie das Anrennen gegen die hohen Mauern, die sich nur ab und an öffnen und das Leben draußen erahnen lassen, jede Hoffnung stirbt, das wird von Markéta Šlapotová (Bernarda Alba), Constanze Marei Hubalek (Angustias), Denise Dumröse (Magdalena), Anneli Chasemore (Amelia), Marion Schwarz (Martirio) und Colleen Swihart (Adela) leidenschaftlich und technisch brillant getanzt. Stürmischer Beifall für eine bis an ihre Grenzen geforderte Kompanie, in der jeder Tänzer ein Solist war.

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