„15 Years Alive“
Gauthier Dance mit einer grandiosen Jubiläumsgala im Theaterhaus Stuttgart
Mal nicht für Japan, sondern für Demenzkranke wurde bei der zweiten großen Tanzgala von Gauthier Dance im Stuttgarter Theaterhaus gesammelt. Serge Gauthier, der Vater des Tänzers und Choreografen Eric, ist ein bekannter kanadischer Alzheimer-Forscher, daher rührt auch der fortwährende Einsatz seines Sohnes für Menschen, die nicht (mehr) zum Tanz kommen können – als Gauthier Mobil tanzt seine kleine Kompanie in Pflegeheimen, Krankenhäusern oder Jugendzentren. Zum Schluss der Gala wurde der Alzheimer-Gesellschaft Baden-Württemberg ein Scheck über satte 11.000 Euro überreicht.
Es müssen wahrlich nicht immer die berühmten Pas de deux aus „Schwanensee“ und „Don Quixote“ sein, die großen Stars aus St. Petersburg, Paris oder London. Eine neue Art von Tanzgala setzt sich in den letzten Jahren in Deutschland durch: man lädt die Freunde aus den Nachbarstädten ein, brandaktuelle Stücke deutscher, gerne auch regionaler Kompanien und lernt dadurch neue Stile, neue Themen, neue Choreografen kennen. Und spannende Tänzer, denn die vierstündige Gala war vor allem ein Abend der beeindruckenden Persönlichkeiten, egal von wo und in welchen Stil, ob klassisch oder modern, berühmt oder noch jung, stark im Körper oder mit der Seele. Dem Tanz in Deutschland kann es gar nicht so schlecht gehen, bei solchen Interpreten.
Derzeit erinnert er sich landauf, landab an die Rockmusik der 60er Jahre, will es scheinen. So tanzte der junge Cornelius Mickel vom Pforzheimer Ballett ein wildes De profundis zu Marilyn Mansons „Lamb of god“ (Choreografie: James Sutherland), geheimnisvoll beleuchtet einzig von der Taschenlampe eines Kollegen. Ballettdirektorin Jutta Ebnother aus Nordhausen ließ ihre Tänzer zu „Nights in white satin“ stilgerecht der Pop Art huldigen. Von Andy Warhol sind auch die „Songs for Drella“ inspiriert, das Rotterdamer Scapino-Ballett zeigte ein Duo, in dem Ed Wubbes zeichenhaft-langsame Sprache in Marco Goeckes nervös-musikalisches Idiom überging. Zu einem Laurie-Anderson-Song tobte die spanische Dantzaz Konpainia in Schottenröckchen im Kreis – Choreografin Hilde Koch, dereinst Tänzerin in Stuttgart und Frankfurt, ließ sich deutlich von William Forsythe und Johan Inger inspirieren, dafür kam die Jugendkompanie sehr viel fetziger rüber als die John-Cranko-Schule in Eric Gauthiers recht brav geratenem „Tag“.
In der modernen Abteilung erweckte die Kompanie Club Guy & Roni, ebenfalls aus Holland, heftige Neugier auf ihr neues Stück „Behind Black Light“. Das Choreografenpaar Guy Weizman und Roni Haver kombiniert für seine Seelenverkaufs-Story eine Optik aus dem Symbolismus, goldschimmernde Stoffe und schwarze Schleiermasken, mit maximalem, ja brutalem Körpereinsatz der drei Interpreten – fliegend und rollend, stoßend und werfend. Etwas prätentiös, als hätte Walter Matteini absichtlich die Textur seiner Choreografie zerhackt, wirkte die Uraufführung „Instante“ der vier Imperfect Dancers aus Florenz.
Lode Devos, Ballettchef in Chemnitz, schickte sich selbst und einen Klassiker zur Gala: Gemeinsam mit der rothaarigen Amazone Anna Süheyla Harms, die von seiner Kompanie zu Gauthier Dance wechselte, zeigte er seine Version des Ballets-Russes-Klassikers „L’Après-midi d’un faun“ als Dialog des langsam erwachenden Fauns mit einer erdfarben schimmernden Nymphe, auf eine zurückhaltende, fast minimalistische Weise intensiv choreografiert und mit großer Achtung vor Debussys Musik. Noch ein Klassiker: Peter Breuer entsandte für seinen „Bolero“ praktisch die gesamte Kompanie des Salzburger Landestheaters und zeigte Ravels Reißer als Ensemblestück, in dem die Tänzer uns zunächst minutenlang den Rücken zukehrten und später wie in einer Arena die Solos oder Duos in ihrer Mitte belauerten. In einigen Bewegungen von Maurice Béjarts berühmter Version inspiriert, steigert der Choreograf mit der Musik die Schnelligkeit des Tanzes, die Virtuosität der einzelnen Soli.
Ebenfalls in Kompaniestärke angereist war das Ballett Nürnberg mit einem strengen, geheimnisvollen Ausschnitt aus Goyo Monteros „Benditos Malditos“, also „Gesegnete Verdammte“. Ein dunkler Trupp mit Bowler-Hüten stürzte sich in kurze, prägnante Episoden und Szenen, zunächst nur zu spanischem Text, später zu einer Art jazzigem Responsorium: ein stark körperlicher, schnörkelloser, oft fast explosiver Tanz, der doch stets elegant und ausdrucksvoll bleibt. Noch ein Ziel auf unserer Reiseliste.
Anschaulich und mit harten Bandagen geht es in Jiří Bubeníčeks Psychoduell „Intimate Distance“ zur Sache – Leslie Heylmann und Jon Vallejo vom Dresdner Semperoper-Ballett tanzten den kurzen, intensiven Pas de deux, als gälte es ihr Leben. Bridget Breiner, derzeit noch beim Stuttgarter Ballett, kreierte zum jazzig-verträumten Live-Saxofon ihres Bruders Patrick das neue Solo „Come again when you can’t stay so long“, das zunächst amerikanisch kokettierte und später ernster wurde. Welch schöne Idee von Jörg Mannes, statt eines Stabat Mater das thematisch passende Solo „Granny“ aus Hannover zu schicken, Teil seines neuesten Stückes „Stirb du, wennst kannst“. Es zeigt Cássia Lopes im Krankenhaushemd, auf begrenztem Raum aus dem Dunkel herausgeleuchtet, im Kampf mit dem körperlichen Zerfall, zwischen Klammern ans Leben und Loslassen-Wollen. Rettet sie der schützend herbeieilende Mann oder verweigert er ihr die Erlösung? Ein verzweifelt ehrlicher, ratloser Totentanz zu Schuberts „Der Tod und das Mädchen“, der auf den ganzen Abend neugierig macht. Das übliche Gala-Verbeugungs-Schaulaufen kommt beim Unterhaltungstalent Eric Gauthier natürlich nicht in die Tüte: im astreinen Bollywood-Discostil, mit Kopfwackeln und Lotusblüten-Fingerhaltung, mischte seine Truppe zu dumpfen Trommeln Bühne und Publikum auf, als Stargast Egon Madsen und im Schlepptau dann schließlich all die vielen Interpreten, die sich gerade exzessiv verausgabt hatten und nun die Hüften schwenkten, als hätten sie nur darauf gewartet, endlich tanzen zu dürfen. Die gute Laune von Gauthier Dance ist definitiv ansteckend.
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