„Siegfried – Eine Bewegung“
Ein Fotoblog von Ursula Kaufmann zur neuen Produktion von Gregor Zöllig in Braunschweig
Zwei Uraufführungen: „Broken Language“ von Douglas Thorpe und „The Islanders“ von Jo Strømgren
Wenn zwei Choreografen das gleiche Thema umsetzen, kommen nie zwei gleiche Choreografien heraus. Das ist nicht wirklich neu. Wie stark die Stile variieren, kann jedoch durchaus aufregend sein. Im Extremfall entstehen so unterschiedliche Arbeiten, dass der Zuschauer kaum auf die Idee kommen könnte, die Vorgaben seien dieselben. Diese Variante zeigte das Staatstheater Braunschweig mit zwei Tanz-Uraufführungen am vergangenen Freitag auf der Bühne im Kleinen Haus. Braunschweigs Tanz-Chef Jan Pusch hatte zwei renommierte Kollegen eingeladen, für seine Kompanie das Thema der Verschiedenheit von Menschen und Kulturen umzusetzen. Der britische Choreograf Douglas Thorpe und sein norwegischer Kollegen Jo Strømgren folgten der Einladung auf verblüffend gegensätzliche Art.
Mit seinem Werk „Broken Language“ setzt Douglas Thorpe ein bedrückendes Zeichen für die Kommunikationsprobleme zwischen Männern und Frauen. Zur düsteren Musik von Junior Willocks zeichnet der Brite ein Bild der Gewalt, die aus Sprachlosigkeit herrührt. Gesprochen wird zwar durchaus, in unterschiedlichen Idiomen, mal geflüstert, mal geschrien, doch Kommunikation erwächst daraus eben nicht. Das Durcheinander der Worte lässt nur den Eindruck sinnloser Laute entstehen. Und auch die Körpersprache der durchweg dunkel gekleideten Tänzerinnen und Tänzer ist geprägt von Aggressivität, die aus Unverständnis füreinander erwächst.
Thorpes Sprache ist bedrohlich, beängstigend und schockierend. Wie fremdgesteuert erscheinen die Tänzer, wenn sie sich zuckend winden und drehen, als wären sie Marionetten eines anderen Willens. Annäherung führt nicht zum Verstehen, sondern zu Gewaltausbrüchen. Berührungen enden in Schlägen, Stößen und Tritten und wenn die Paare sich nicht gegenseitig bekämpfen, kämpft jeder Einzelne gegen sich selbst. Liebe und Erlösung? Fehlanzeige. Die zarteste Andeutung von zugewandter Aktion wird sogleich durch eine abwehrende Reaktion zerstört. Die animalische Seite des Menschen, böse, zerstörerisch, auf sich allein gestellt und sich selbst gleichsam fremd bleibend, hinterlässt ein Gefühl von Bedrückung und Verstörung. Die dynamische Umsetzung, die Energie der Tänzer und die kraftvolle Choreografie wirken gleichzeitig mitreißend und abschreckend. Distanziertes visuelles Konsumieren? Unmöglich! Thorpes Plan, den Zuschauer zu packen, aufzurütteln und zu fesseln, geht auf.
Geradezu diametral verschieden ist dagegen Jo Strømgrens Interpretation des Themas. Während sein britischer Kollege den Akzent auf eine bestimmte Botschaft legt, scheint für den Norweger der Kontext offenbar eher zweitrangig zu sein. Er ist ein Geschichtenerzähler, eine Eigenschaft, die er neben seiner Arbeit als Choreograf auch als Theaterautor und Filmregisseur umsetzt. „The Islanders“ nimmt das Publikum mit auf eine Reise zu der Friede-Freude-Eierkuchen-Idylle sieben Bewohner einer kleinen Insel mitten im Meer. Ihr verlässliches Zusammenleben wird durch die Einführung von Milchnahrung gestört, die zu überraschenden Reaktionen seitens der Insulaner führt.
So skurril wie die literarische Idee ist auch die choreografische und dramaturgische Umsetzung. Der Zuschauer wird permanent durch den Erzähler aus dem Off (Jo Strømgren) über den bizarren Verlauf der Handlung informiert, die sich auf der Bühne entwickelt. Die Mischung aus Sprechtheater und Tanz wirkt dabei keineswegs störend, beides ergänzt sich so harmonisch wie Untertitel und Schauspiel in einem Stummfilm. Strømgren bleibt in seiner Erzählung bewusst sehr konkret, arbeitet mit Versatzstücken, die das Gemeindezentrum der Insulaner markieren und staffiert die Tänzerinnen und Tänzer gemäß ihren Rollenbildern vom Kopf bis zu den Schuhen aus. Ist das Theater? Ja. Ist das Tanz? Auf jeden Fall! Denn tanzen lässt der Choreograf die Darsteller, aber eben auch mehr. Sie dürfen spielen, übertreiben, melodramatisch und komisch sein, im Sinne bester Screwball-Manier.
Strømgren zeigt ungetrübten Hang zum Slapstick, untermalt von der beinahe kitschig wirkenden Musik des verstorbenen isländischen Schlagersängers Haukur Morthens. Und er zeigt ihn gekonnt, gleitet nie ab ins Peinliche, sondern behält selbst während der groteskesten Übertreibung noch die Zügel in der Hand. Das Publikum dankt ihm den Mut zur Komik, indem es jede ansonsten in Theatern oft übliche sakrale Zurückhaltung fahren lässt und herzhaft lacht. „In Norwegen zählt das, was auf der Bühne zu sehen ist“, sagt Strømgren. „Entweder gelingt der Abend oder nicht.“ Er ist gelungen.
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