Was für ein Triumph
Neue „Dornröschen“-Besetzung in Wien
Manuel Legris hat Peter Wrights „Dornröschen“ neu einstudieren lassen
Manuel Legris hatte bei seiner Jahrespressekonferenz angekündigt, dass er mit dem Wiener Staatsballett erst 2012/13 einen neuen „Nussknacker“ herausbringen werde, dem Vernehmen nach handelt es sich um die Fassung von Rudolf Nurejew. Davor aber gebe die Wiederaufnahme von Peter Wrights Fassung des Tschaikowski-„Dornröschen“ (seit 1995 im Wiener Repertoire) ein prächtiges Weihnachtsballett ab. Diese Feststellung mag kurzfristig irritiert haben. Aber die prunkvolle, historistische Produktion, die von den Farben Gold, Rosa und Creme bestimmt ist (Ausstattung: Philip Prowse) funktioniert als Zaubermärchen gut.
Wrights sorgsam nach der Petipa-Vorlage zelebrierte Inszenierung ist als erlesene akademische Huldigung an eine feudale Gesellschaft zu verstehen. (Bisher waren die Vorstellungen in der Wiener Staatsoper bei Eintrittspreisen bis zu 130 Euro ausverkauft.) Das apollinische Prinzip regiert und der Goldregen am Ende veredelt endgültig die mit zwei Pausen mehr als drei Stunden dauernde, tatsächlich sehr englisch royal anmutende, weil gediegen, klar und überschaubare Produktion. Neu ist in der aktualisierten Einstudierung von Dennis Bonner ein Duett von Peter Wright für Aurora und Florimund, das unmittelbar an die Aufwachszene der Prinzessin anschließt. Aber auch das ist in Form und Gestaltung von nobler Zurückhaltung und fügt sich nahtlos in das ausbalancierte, bildhaft angeordnete Schaugepränge à la spätes 19. Jahrhundert. Wer Nurejews „Dornröschen“-Fassung kennt, die auch das Wiener Repertoire einige Jahre bestimmt hat, wird nicht umhin können, bei diesem ausführlichen Geigen-Solo an das ebenso grandiose wie waghalsig choreografierte Solo für den Prinzen vor der Visionsszene zu denken. Wright inszeniert eben traditionalistisch und historisch, Nurejew setzte sich und damit den unterbeschäftigten Prinzen in Szene. An Stelle des verletzten Roman Lazik, der Legris’ Erstbesetzung für den Prinzen gewesen war, kam Vladimir Shishov en suite zum Zug, der trotz Verbesserung immer noch etwas ungelenk, blass und unsicher wirkt. Seine erste Aurora war die stark gebaute Liudmila Konovalova.
Figürlich und gestalterisch ist sie keine Prinzessin, technisch aber setzt sie kraftvoll beeindruckende Akzente. Eine andere Liga verkörpert da Olga Esina, die immerhin auch edle Anmut verströmt und versucht, der schauspielerischen Komponente nachzukommen. Maria Yakovleva hatte als Aurora vor allem in der Visionsszene schöne Momente. Eindrücklich die Carabosse-Interpretinnen Ketevan Papava (mit eiskaltem Gift) und Erika Kovácová (sinnlich betörend) sowie die fein gezeichnete Fliederfee von Alena Klochkova. Abgesehen vom würde- und liebvollen Elternpaar mit Alexandra Kontrus und Thomas Mayerhofer, dem Zeremonienmeister Christoph Wenzel und dem überkandidelten Galifron in der Waldszene, Lukas Gaudernak, hinterließ das Ensemble sehr unterschiedliche Eindrücke. Bei den Feen-Besetzungen vermisste man immer wieder die symbolische Klarheit und das Wissen um die Rolle, manchen Nachwuchs sollte man über die Penetranz eingefrorenen Dauerlächelns aufklären.
Im „Blauen Vogel“-Pas de deux, den die Sprung-Talente Denis Cherevychko und Davide Dato dominierten, wechselten als Verzauberte Prinzessin die typmäßig unpassende Nina Poláková, die lyrischere Irina Tsymbal und die gewinnende Natalie Kusch. Stil- und selbstsicher wirkte vor allem der Pas de quatre im dritten Akt mit Ioanna Avraam (klar und präzise), Franziska Wagner-Hollinek, Davide Dato, dem aufgehenden Solisten mit Persönlichkeit und Technik, und Richard Szabó (genau platziert). Mit Paul Connelly am Pult ist ein verantwortungsvoller und temperamentvoller Ballett-Dirigent zurückgekehrt, den vor zwanzig Jahren die damalige Wiener Ballettchefin Elena Tschernichova (ABT) nach Wien geholt hatte. Sie war es auch, die den jungen Vladimir Malakhov fest an die Donau verflichtete, der später auch Wrights Dornröschen-Premiere tanzte. Jetzt war er Gast im Publikum.
Das Wiener Staatsballett, das sich überwiegend aus TänzerInnen aus dem östlichen Europa zusammensetzt, hat seit Legris’ Bestellung 2010 künstlerisch enorm profitiert. Statt halbseidener Nachtclubästhetik und verschrobener Spielplanprogrammierung dominiert nun eindeutig ein offenerer, nunmehr französischer Blick (Lifar, Petit, Lacotte) auf die Tanzgeschichte. Uraufführungen oder auch die Einstudierung großformatiger zeitgenössischer Ballettwerke scheinen allerdings nicht in Sicht zu sein.
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