Raffiniertes Cinema-Theater
Das Béjart Ballet Lausanne bringt „Dixit“ zur Uraufführung
Seit dem Tod von Maurice Béjart (1927-2007) leitet Gil Roman das vitale und weltweit herumreisende Ballett. Er ist stolz auf seine Kompanie.
Gil Roman, der Chef des Béjart Ballet Lausanne (BBL), sitzt mir in seinem kargen Lausanner Büro gegenüber. Schlank, feingliedrig, schwarzhaarig, Glutaugen. Und der soll 53 sein? Bei der Premiere der „Soirée Mahler“ diesen Sommer im Lausanner Théâtre Beaulieu tanzte er als Dreingabe überraschend das Béjart-Solo „Adagietto“ aus Mahlers 5.Sinfonie. Wie ein Jüngling, zehn Minuten lang, eine physische und künstlerische Höchstleistung.
Wer ist dieser Gil Roman, der punkto Aussehen, Alterslosigkeit, Ausdauer, Agilität ein Asiate sein könnte, aber seines Wissens reiner Südfranzose ist? 1979 kam er als Neunzehnjähriger zu Maurice Béjarts damaligem Ballet du XXe Siècle in Brüssel, einer der prominentesten und umstrittensten Truppen Europas. Schon früh vermischte Béjart alle Stile der Welt, klassisches Ballett inklusive, zur üppigen Collage. Damit erschloss er sich ein neues, junges Publikum, zumal durch die Auftritte der Kompanie beim Festival d‘Avignon.
Von Brüssel nach Lausanne: Doch dann brach zwischen dem Intendanten der Brüssler Opéra La Monnaie, Gerard Mortier, und Béjart ein historischer Krach aus. Das Ballett war Teil des Theaters. Es ging um Stilfragen, Finanzen und Prestige. Unter dramatischen Umständen emigrierte das Ballet du XXe Siècle 1987 nach Lausanne, wo man ihm großzügig Asyl bot. Bis heute wendet die Stadt Millionenbeträge für das BBL auf – doch das ist eine andere Geschichte.
Gil Roman zog mit von Brüssel nach Lausanne. Nach dem Tod des Béjart-Stars Jorge Donn 1992 avancierte er zum prominentesten männlichen Interpreten des BBL, schuf auch erste eigene Choreografien. Das Verhältnis zwischen ihm und dem Chef war allerdings nicht immer ungetrübt. Dreimal, so erzählt Roman, wies ihm der Meister die Tür. Ebenso oft holte er ihn zurück. Es ging einfach nicht ohne ihn. Gil rückte neben seiner intensiven Tänzertätigkeit bald einmal zum stellvertretenden Kompanie-Leiter auf. Und bevor Maurice Béjart starb, ernannte dieser ihn ausdrücklich zu seinem Nachfolger – „nul autre“.
Gil Roman ist mit der ehemaligen Béjart-Tänzerin Khyra Kharkevitch verheiratet und hat eine Tochter, die allerdings nicht Ballett, sondern „nur“ das Theater liebt. Die Familienzeiten in Lausanne sind rar, denn das BBL ist monatelang auf Tournee. Mindestens 150 Tage lang war das BBL in der letzten Spielzeit unterwegs, mit Gastspielen von Paris bis Tokio, Sao Paolo bis St. Petersburg, aber auch in der französischen oder griechischen Provinz. Diese Saison tanzte es in Zürich und gegenwärtig in Versailles. Nächste Station ist Verona. Die Auftritte am Stammsitz in Lausanne beschränken sich jeweils auf drei (stets umjubelte) Sessions pro Jahr.
Und was wird getanzt? Immer länger wird die Liste mit Werken, die das BBL für Tourneen anbietet. Neben Béjart-Klassikern wie „Boléro“ oder „Sacre du Printemps“ sind es neu einstudierte Ballette von Béjart, die seinerzeit aus dem Repertoire verschwunden waren. Zum Beispiel die Mahler-Vertanzungen „Lieder eines fahrenden Gesellen“ oder „Ce que l’amour me dit“. Dieses Stück hat Gil Roman vor drei Jahren mit Hilfe eigener und fremder Erinnerungen sowie alter Videos rekonstruiert. Hinzu gekommen sind im Laufe der Zeit neue Choreografien von Gil Roman und weiteren Béjart-Nahestehenden wie dem ehemaligen Tänzer und heutigen BBL-Ballettmeister Julio Arozarena, einem gebürtigen Kubaner.
Der Lausanner Stammsitz. Das Béjart Ballet Lausanne residiert am Chemin de Presbytère hinter dem Palais de Beaulieu. Hier wird gelebt und geprobt, gezimmert und geklimpert. Denn in dem improvisiert wirkenden zweistöckigen Gebäude sind nicht nur die Proberäume und Garderoben des Balletts untergebracht, sondern auch Gil Romans Büro, die Administration sowie die Werkstätten für Bühnenbild, Kostüme oder Musik.
Beim Herumschlendern anlässlich meines Besuchs in Lausanne stoße ich auf Julien Favreau, in graue Trainingskleider gesteckt, der heftig mit einem Tonmeister fachsimpelt. Der blonde Franzose gehört zur Klasse der Étoiles und zudem zur Gruppe jener, die noch zu Béjarts Lebzeiten beim BBL tanzten: Darunter die preziöse, großgewachsene spanische Ballerina Elisabet Ros, die hellhäutige Ukrainerin Kateryna Shalkina oder der wirbelwindige Lockenkopf Oscar Chacon aus Kolumbien.
Die Rudra-Schule: Neben diesen „Alteingesessenen“ finden sich viele Neue im rund 36-köpfigen BBL. Auch sie kommen aus allen Teilen der Welt; lediglich die Tänzerin Pauline Voisard stammt aus der Schweiz. Ihr und manch anderen jungen Tanztalenten ist der Béjart-Stil indessen schon früh in Fleisch und Blut übergegangen, durften sie doch die École Rudra in Lausanne besuchen. Dort lernten sie alles, was man im BBL beherrschen muss: Akademisches Ballett und zeitgenössischen Tanz, Kampfsportarten und ethnische Rituale, Zirkusartistik und Gesang. Béjart hat die Schule 1992 gegründet, als Talentschuppen und Kaderschmiede. Bis heute ist sie für die Auserkorenen gratis.
www.bejart.ch
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