Béjart-Ballett-Premiere nach dem Steigerungsprinzip

„Le Spectre de la Rose“ von Christophe Garcia, „Anima Blues“ von Gil Roman und zum krönenden Abschluss Maurice Béjarts „Le Sacre du Printemps“

Die fünf Vorstellungen des dreiteiligen Programms in Lausanne waren flugs ausverkauft. Wobei die Premiere wie immer mit Standing Ovations endete.

Lausanne, 22/12/2013

Die jüngste Premiere des Béjart-Balletts in Lausanne, wo es seit 1987 seinen Stammsitz hat, war nach dem Steigerungsprinzip aufgebaut. Christophe Garcias Choreografie von „Le Spectre de la Rose“, eine Uraufführung, hinterließ eher flaue Gefühle. Wo blieben da die Reize der berühmten Fassung von 1911, als Michail Fokin im Rahmen der Ballets Russes die Musik Carl Maria von Webers so eindringlich poetisch in Tanz umsetzte? Bei Fokin träumt ein Mädchen in seinem Zimmer bei geöffneten Fenstern dem soeben verlassenen Fest nach, eine Rose in der Hand. Und plötzlich fliegt der Geist der Rose in weitem Bogen zum Fenster hinein, tanzt mit dem Mädchen, küsst es auf die Stirn und verlässt das Zimmer in einem zweiten spektakulären Sprung.

Die Uraufführung von Fokins „Spectre de la Rose“ mit Waslaw Nijinski und Tamara Karsawina muss seinerzeit traumhaft gewesen sein. Doch auch ohne die Spitzenbesetzung blieb die Choreografie bis heute ein Highlight in den Ballettprogrammen. Christophe Garcia, einstiger Béjart-Tänzer und inzwischen angesehener Choreograf, deutet das Stück um. Das Mädchen (Cosima Munoz) ist zur selbstbewussten Frau geworden, die nicht nur gern angemacht wird, sondern auch tatkräftig selber zupackt. Der Geist der Rose hat sich vervielfacht: Nicht weniger als sechs kräftige Männer, die einen in Fussballhosen samt Sockenhaltern an der Beinen, die andern in normalen Alltagskleidern beschäftigen sich mit der Frau. Sie tanzen recht virtuos und athletisch, aber die Choreografie prägt sich wenig ein. Sie wirkt unmusikalisch – und das nicht nur, weil die Musik Carl Maria von Webers (orchestriert von Hector Berlioz) in schepperndem Fortissimo aus den Lautsprechern dringt.

Auf ganz anderem Niveau bewegt sich Gil Romans dieses Jahr entstandene Stück „Anima Blues“. Ein poetisches, heiter-verspieltes, verwirrendes, surreales Ballett, präsentiert von sechs Paaren, die so vielfältig und technisch perfekt tanzen wie zu Béjarts besten Zeiten. Gil Roman, der die Kompanie seit dem Tod des Meisters 2007 leitet, lässt die Tänzerinnen und Tänzer einzeln oder zusammen in unterschiedlichen Stilen sich bewegen. Auch ihre Kostüme stammen aus verschiedenen Epochen. Den Paaren gibt Roman mit dem Stücktitel eine tiefere Bedeutung: Er will an die Psychologie C.G.Jungs erinnern, wonach in jedem Mann ein weibliches Abbild schlummert, genannt „Anima“.

Die Originalmusik zu „Anima Blues“ stammt von Thierry Hochstätter und jB Meier, dem bewährten Lausanner Gespann namens Citypercussion, das schon seit 20 Jahren für Maurice Béjart und Gil Roman arbeitet. Zum intensiven Tanz, der sich auf der Bühne entfaltet, gesellt sich eine Art Bilderrätsel: Rechts vorn auf einem Thron sitzt wie ein junger Gott der Tänzer Oscar Chacon, auf den aus einer hoch gehängten perforierten Walze unentwegt Schnee rieselt. Eine feingliedrige Frau (Kateryna Shalkina), die durch viele Details an Audrey Hepburn erinnert, erlöst ihn schliesslich aus seiner kalten Einsamkeit. Nicht nur der Tanz, sondern auch Bühnenarrangement und Kostüme (Henri Davila) entwickeln starke optische Reize.

Höhepunkt des Abends bildete dann aber doch das Strawinsky-Ballett „Le Sacre du Printemps“ in der Version von Maurice Béjart aus dem Jahr 1959. Unvorstellbar, welche Wirkung diese Choreografie in ihrer gespannten Kraft damals ausgeübt haben muss. Noch heute ist sie eine Wucht. Neben der Version von Pina Bausch (1975) bildet Béjarts „Sacre“ wohl den Höhepunkt der vielen Interpretationen seit der Uraufführung von Vaslav Nijinskis Choreografie vor genau hundert Jahren. Zur Erinnerung: Bei Béjart muss sich die Erwählte nicht zu Tode tanzen. Statt dessen wird das auserkorene Paar (Oscar Chacon/ Kateryna Shalkina) von Dutzenden von Händen wie in Trance gen Himmel hochgestemmt. Die Vereinigung der Geschlechter als Höhepunkt.

Béjart Ballet Lausanne, 18.-22.Dezember 2013 im Théâtre Beaulieu,
www.bejart.ch

 

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