Niemand ist eine Insel
Zum Tanzabend „My Island“ von Stephan Thoss in Mannheim
„Ein Wochenende mit Mary Wigman“ – ein Residenzprogramm für Mannheimer Choreografen
Mannheim sei eine „ungewöhnlich lebendige, bewegliche Stadt“, bescheinigte die Ikone des deutschen Ausdruckstanzes Mary Wigman der Quadratestadt anlässlich der Verleihung des Schillerpreises 1954. Vier Jahre lang (bis 1958) hat sie im Nationaltheater Tanzgeschichte geschrieben, unter anderem mit einer „Carmina Burana“- Inszenierung und der Gluck-Oper „Alkestis“. Einer, der als junger Tänzer bei dieser Produktion mitgemacht hat, war Joachim Gerster, später selbst Ballettdirektor in Mannheim. Auf Einladung des Mannheimer Kulturamts war er zu einem ganz und gar ungewöhnlichen Projekt an seine alte Wirkungsstätte gekommen: in die Probenräume des Nationaltheater-Ballettes. Die liegen allerdings nicht mehr im Theatergebäude, sondern im neuen Tanzhaus in Käfertal auf dem Alstom-Firmengelände. Hausherrin Dominique Dumais machte in ihren Begrüßungsworten deutlich, dass dieser Brückenschlag zwischen der Tanzsparte des Nationaltheaters zur freien Szene den Auftakt für künftige Kooperationen bilden sollte, um gemeinsame Sache für den Tanz in Mannheim zu machen.
Hierher wurde zum ersten Mal in ein Residenzprogramm von Kulturamt und Kevin O’Day Ballett aufgelegt, und zwar für Mannheimer Choreografen. „Ein Wochenende, ein Choreograf, eine Performance, eine Tanzikone“ – das war die thematische und organisatorische Herausforderung unter der künstlerischen Leitung von Luches Huddleston Jr. (Leiter des Bewegungschors am Nationaltheater). Die Ergebnisse der Probenwochenenden von vier Mannheimer Choreografen wurden am Ende in einer Tanzmatinée zusammengeführt. Joachim Gerster blieb es dabei vorbehalten, von seinen persönlichen Erinnerungen an die Gallionsfigur des deutschen Ausdruckstanzes zu erzählen. Ihr Credo für die jungen Tänzer sei die Formel „Kraft, Zeit, Raum“ gewesen. Mary Wigmans Arbeitsweise erscheint aus heutiger Sicht wieder ganz aktuell: Sie kam mit einem Skizzenblock voller Strichmännchen, aber die lebendigen Tänzer durften nach ihren Vorgaben improvisieren. Danach ging es ans Sortieren und Fixieren – wenn die Improvisation in ihren Augen stimmig war, durfte sie bleiben. Wir Tänzer, so bekannte Joachim Gerster, „waren süchtig nach diesen Proben“.
Erstaunlich, was die die eingeladenen Mannheimer Choreografen in nur einem Wochenende Probenzeit auf die Beine stellen konnten. Ihr Personal mussten sie selbst mitbringen – hier dominierten Tänzer in Ausbildung und Studenten der freien Theaterakademie Mannheim, deren Leiter Mario Heinemann Jaillet selbst einen Beitrag lieferte. „Tanz hinterlässt keine Artefakte“, war seine These, die er in der Arbeit „Out of Doors“ mit flüchtigen, sozusagen aus dem Augenblick entwickelten Bewegungen für vier Tänzer untermauerte. Radikaler noch ging Éric Trottier (ehemaliger Tänzer und Hauschoreograf des Nationaltheaters, Gründer der La-Trottier Dance Company Mannheim) vor. In seiner Choreografie „Zeige mir den Weg nach vorne“ ließ er zwei Tänzergenerationen expressiv aufeinanderprallen.
An Stationen aus Mary Wigmans Leben und Werk erinnerte die ehemalige Solotänzerin Aki Kato – heue Leiterin einer Tanzschule in Mannheim. Sie fragte in ihrer Arbeit „About Mary“, was es bedeutet, Freiheit erst und nur in Bewegung finden zu können – in einem auch äußerlich höchst bewegten Leben. Auch Rafael Valdivieso ist ein ehemaliges Mitglied des Mannheimer Ensembles, sogar nochaus Kevin O’Days Zeiten. Er erinnert augenzwinkernd an die ganz frühen „Hexentänze“ der Wigman und ließ sich dafür in der „Walpurgisnacht“ von drei zackigen Hexen zu kontrastierenden Walzerklängen in die Tonne treten – ganz wörtlich genommen.
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