Von Wien an die Neiße
Massimo Gerardi wird neuer Tanzdirektor in Görlitz
„NOWAYOUT“ von Massimo Gerardi im Militärhistorischen Museum Dresden
Schon der Ort ist ungewöhnlich. Tanz in Museen ist an sich nicht außergewöhnlich, aber Tanz in einem militärhistorischen Museum? In Dresden geht es ohnehin in diesem Hauptgebäude der Albertstadt mit ihren Kasernen von 1877 seit der Wiedereröffnung nach spektakulärer Umgestaltung durch den Architekten Daniel Liebeskind, im Jahre 2011, längst nicht mehr um die Kunst der Kriegsführung im Sinne einer Verherrlichung, sondern eher um die Kunst der Wahrnehmung historischer Ereignisse von vernichtender Wirkung.
Um die Kunst der Wahrnehmung geht es auch in den Choreografien, bzw. in der Tanzperformance „NOWAYOUT“ von Massimo Gerardi mit der Kompanie „subsTANZ“, die jetzt in diesem Dresdner Museum zu sehen waren. Entstanden sind die beiden Arbeiten im letzten Jahr für das Odeon Theater in Bukarest. Inzwischen waren sie in Venedig und Udine zu sehen.
Der jeweilige Ort bestimmt die Wahrnehmung, im Dresdner Museum sieht man die Tänzerinnen und Tänzer immer in der Korrespondenz zu einer großflächigen, bewegten Installation „LOVE/HATE“ von George Sandison, die sich an einer Wand vollzieht, welche in etwa jenen Teil des Museum markiert, an dem der gewaltige, von Liebeskind in das Bauwerk getriebene Keil des Anstoßes mit der Schärfe seiner Kante den Boden berührt.
Hier vollzieht sich Gerardis Tanzperformanze in zwei Teilen zwischen Wänden aus Beton. „In Side“ heißt Teil eins für die Tänzerinnen Judith State und Paulina Iacobello. Fest verschnürt in Materialien aus Plaste, zum Wegwerfen oder Einfrieren, werden sie von zwei Soldaten hereingetragen und abgelegt. Zum zunächst aggressiveren Sound von Murcof beginnen kraftzehrende Befreiungsanstrengungen der Tänzerinnen. Eine auch für den Zuseher schmerzhafte Häutung.
Aber kaum ist die materielle Gefangenschaft beendet, beginnt die der Unnahbarkeit: die der autistischen Selbstbestimmtheit und der vielen Formen damit verbundener aggressiver Ablehnung. Ein getanzter Widersinn, zwei Frauen in nahezu gleicher, betonierter Ausweglosigkeit, verstellen sich gegenseitig den einzigen Ausweg, der zueinander und über die steinerne Begrenzung hinaus, führen könnte. Immerhin durchbricht Gerardis Choreografie mit ihren Momenten lichter und weitgreifender Tanzbewegungen zumindest visionär diesen Zustand der Vergeblichkeit.
Dazu kommt die minimalistisch orientierte Musik moderner Romantik eines Gavin Bryars, die in ihrer sehnsuchtsvollen, melancholischen Melodik weit mehr ist als bloßer Klangteppich. Keine Pause, schneller Wechsel, gellender Popsound der Bee Gees, dazu die Tänzer Mircea Andrei Ghinea und Massimo Gerardi. Der flotte Einstieg ist trügerisch, das Spiel mit der Unverbindlichkeit unterhaltender Tanzelemente einsamer Männer kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass längst nicht alles, was hier zur Schau gestellt wird, auch beim weiteren Hinschauen den puren Spaß bedeuten wird. Was nämlich folgt ist ein zerstörerisches Spiel um Abhängigkeiten und Unterwürfigkeit. Ein optischer Widerspruch.
Die Tänzer legen ihre Kleidung ab, die unsichtbaren Panzer legen sie an. Immer wieder Kämpfe, wer gibt wem die Richtung vor, wer bestimmt, wer schießt und wer fällt um. Immer wieder Spiel, immer wieder Ernst, die körperliche Aggression bedeutet auch körperlichen Einsatz über das Maß üblicher Darstellung weit hinaus, der Tanz wird schonungslos. Die Assoziationen innerer und äußerer Gefangenschaften haben ihre Entsprechungen in den Bewegungen, in den Darstellungsweisen und mitunter auch sehr direkt, wenn etwa beide Tänzer mit gefesselten Händen agieren, wenn sie mit der Gesichtslosigkeit ihrer Mützenmasken ganz bewusst an die Gefangenen auf Guantanamo erinnern.
Inzwischen ist schon längst nichts mehr zu hören von den Bee Gees, der Klang ist rauer geworden mit Reuber. Was die Männer sich zurufen ist schwer zu verstehen, die wütende Aggression aber nicht zu überhören. Und immer knapp bevor aus der Direktheit dieses performativen Tanzes ein Plakat werden könnte, gibt es gut gesetzte Brüche, mitunter humorig grundiert, ironisch auch, aber − und das ist so spannend, auch zärtlich.
Und dann noch einmal, Ironie, ganz dick. Die Kinder in den Männern, die Pistole aus dem Spielzeugland, die ist nicht geladen, deren Schüsse sind auch nicht tödlich, viel gefährlicher hingegen wirken die „gespielten“ Schüsse, mit der bloßen Hand. Man möchte lachen. Wie können Männer nur so albern sein? Und schon bleibt das Lachen im Halse stecken...
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