Zerrieben von Blicken: Fluchtpunkt Poesie

Tanz! Heilbronn-Finale: „Don’t move“ von Modjgan Hashemian im Komödienhaus

Der Titel „Don’t Move“ ist wörtlich zu nehmen. Die Wahl-Berlinerin und Choreografin Modjgan Hashemian thematisiert das Tanzverbot, das seit 1979 im Iran gilt.

Heilbronn, 17/05/2013

„Eins kann man dem Festival nicht vorwerfen, es habe nur nette Unterhaltung geboten“, so das augenzwinkernde Resümee etlicher Theaterbesucher am Ende des Festivals Tanz! Heilbronn, dem etwas Schwung gefehlt habe, so eine Besucherin mit ungarischen Wurzeln. In der Tat kommt beim Festival-Thema „Kontrolle“ kein Csárdás-Gefühl auf; die Vorstellungen, die die Berliner Kuratorin Karin Kirchhoff gewählt hat, sind kantiger, spröder, archaischer Natur mit einem gemeinsamen Nenner: Diskussionsbedarf.

Insbesondere die Performance „Don’t Move“ (Beweg dich nicht) der, in Berlin lebenden Iranerin Modjgan Hashemian, bietet Stoff für Gespräche. In deren Verlauf wird die politische Brisanz des Körpers, der Bewegung, des Tanzes im öffentlichen Raum deutlich.

Ausgangspunkt von „Don’t Move“ ist das Tanzverbot, das seit 1979 im Iran herrscht. Und die Frage: „Wie wäre es für mich gewesen, wenn meine Eltern im Iran geblieben wären?“ In Berlin zur Choreografin ausgebildet, reist Modjgan Hashemian mit deutschem Pass zur Recherche nach Persien, befragt Tanzschaffende und bringt beeindruckende Zeugnisse mit.

Sittenwächter, die eingreifen und die völlig harmlosen Film-Aufzeichnungen auf dem Dach eines Hauses oder auf einer kaum belebten Straße unterbinden. Ein Tänzer, dem Haft droht, möchte anonym bleiben, so tanzt er im Film, man sieht nur die Hose; den Oberkörper ergänzt der halbe Schatten des Live auf der Bühne agierenden Kollegen. Grotesk sind die Verrenkungen der Tänzerin auf der Bühne in Heilbronn, die sich konform mit den Richtlinien zu bewegen versucht.

Filmschnipsel werden auf zwei fahrbaren Projektionsflächen geworfen. Großstadtgeräusche, Interviews und persische Musik auf Laute und Trommel unterlegen die Sequenzen. Ausschnitthaft und fragil wirken die Protagonisten, im Film als auch - die zwei Männer, zwei Frauen − auf der Bühne im Komödienhaus. Mal schieben die Live-Akteure semitransparente Wände durch den Raum, Mal illustrieren sie Verfolgung und Gewalt, Mal kommentieren und kontrastieren sie die Protagonisten im Film oder ergänzen den Ton.

Die ursprüngliche Idee via Skype, einem kostenlosen Internettelefondienst, direkten Kontakt zu den Künstlern in Teheran herzustellen, bleibt ein offener Wunsch. Dennoch faszinieren kurze Augenblicke tanzender Körper, voll Poesie, Sehnsucht, Trauer. Und als Fluchtpunkt die lyrische Sprache, die Codes entwickelt hat, um der Zensur zu entgehen: „Zerrieben von Blicken. Teheran ist voller Staub. Auch die Sprache ist ausgetrocknet. Du willst fliehen, aber es gibt keinen Ort außerhalb deines Körpers. Als Staub tanzt du im Wind“.

Gern hätte Hashemian die Mitwirkenden in Teheran wenigstens zum Schlussapplaus über Skype nach Heilbronn geholt, aber jetzt, einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen, sei das unmöglich, sagt sie, und ist froh, dass der Tänzer, dem Haft drohte, mittlerweile in Berlin lebt.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern