Dialogische Installation
Rubato mit „FindeOrte“ im Dock 11
Spannende Doppelpremiere der Tanzcompagnie Rubato im Dock 11
Sie dürfen mittlerweile als Spezialisten für zeitgenössischen Tanz in China gelten. Seit 1995 geben Jutta Hell und Dieter Baumann, die zusammen mit je unterschiedlicher Mannschaft die Gruppe Rubato bilden, regelmäßig in verschiedenen Städten und Regionen der Riesenrepublik Kurse, studieren Choreografien ein und haben so ein gerüttelt Maß dazu beigetragen, dass moderner Tanz und das künstlerisch eher traditionell orientierte Reich der Mitte keine Gegensätze mehr sind. Bereits mehrfach durften sie in Berlin als Arbeitsergebnisse ihre vor Ort entstandenen Stücke präsentieren. Was sie Anfang des vergangenen Jahres in Shanghai kreierten, erobert sich jetzt als zweigeteilter Abend den Theatersaal im Dock 11.
Für „Two Figures in a Landscape“ konnte Rubato als originellen Partner den jungen Briten Jonathan Baldock gewinnen, bildender Künstler und nun auch Kostümdesigner. Sein Beitrag trägt ganz wesentlich eine Tanzschöpfung, der Jutta Hell choreografische Gestalt verlieh. Schwarz gekleidet betreten Dieter Baumann und Li Ling Xi die leere Szene. Zwei Stoffrollen balancieren sie auf dem Kopf, fassen sich an den Händen, durchmessen in beinah zeremonieller Ruhe den Raum. Dann die Transformation: Zuerst bewerfen sie sich mit den Rollen, schütteln überraschend den Stoff zum bunten Gewand, zeigen es demonstrativ und streifen es sich über. Da werden sie zu tanzenden Kunstfiguren, belebte abstrakte Studien eines Piet Mondrian mit seinen gegeneinander gesetzten Farbflächen und gleichsam stilisierter Personnage der chinesischen Oper. In diesem unorthodoxen Spannungsfeld bewegt sich doppelten Sinns das gesamte Stück. Mit den extrem langen Ärmeln, auch dies ein Zitat asiatischen Theaters, wirken die zwei Akteure mitunter wie bunte Vögel, breiten die Arme aus, wollen fliegen, gehen zu Boden, geben eine Art von Winksignalen oder peitschen drehend im Stand die Luft. Das wiederum erinnert an die Trance türkischer Derwische.
Mehrfach wiederholt sich eine Sequenz, die einer Applausgeste gleicht: Aus der Drehung wird ein dankender Kniefall. Wiegend, federnd, wippend, hüpfend nimmt das Paar chinesische Anleihen bis zum breitbeinigen Stand auf und zaubert dabei europäische Farbornamentik in den Raum, ehe es die fremde Haut ablegt: Das gewendete Kostüm wird da zur grauen Mönchskutte mit den Ärmeln als Schleppen. Wieder mischen sich in den flüssigen, flächigen Gängen die tänzerischen Errungenschaften der Kontinente - stolz sie, bodenständiger er. Bald geraten die verknoteten Ärmel zur überkreuzten Toga, bald zum asiatischen Kopfputz, fesseln oder schmücken. Nach vielfältigem Spiel mit dem Material wenden die beiden ihre Kimonos erneut zur geometrischen Buntheit. Baumann behängt die Partnerin mit beiden Mänteln, zieht ihr die Kapuze übers Gesicht, trägt die Blicklose wie eine Standarte, bevor sich beide auf dem Boden wälzen, China und Europa kaum mehr trennbar. Am Ende erlöst er sie aus der Vermummung, und beide stehen still, jeder sein Kostüm über dem Arm. Das Spiel ist vorbei, etwas aber ist geblieben, auch für den konzentrierten Zuschauer: die so einfallsreiche wie kunstfertige Begegnung zweier Kulturen auf gewohnt anregendem Rubato-Niveau.
Radikaler geht Li Ling Xi in ihrem Solo zu Werke. Jutta Hell hat ihr „Happiness / Xing Fu“ auf den offenkundig suchenden Tänzerleib choreografiert. Im hochgeschlossenen, fackelartig lachsroten Langkleid mit Seitschlitzen und Rückendekolleté steht die in Folklore vorzüglich geschulte Tänzerin auf der Szene. Schwarze Stiefel erinnern an ihre Tanzausbildung bei der chinesischen Volksbefreiungsarmee in Peking. Doch wie sich die Gesellschaft des Landes mit allgemein westlicher Lebensart konfrontiert sieht, ist Li Ling Xi mit dem zeitgenössischen Tanz des Westens in Kontakt gekommen. Er provoziert und lockt sie offensichtlich zur Auseinandersetzung. Gern schaut man ihr zu, wie sich Volkstanz aus Tibet, der Mongolei und der Provinz Xin Jiang, wie das Programmheft aufklärt, zu hartem Beat in Poptanz auflöst, als Shanghai-Party mit Butoh-Elementen. Lang wirkt das, weniger belangvoll formuliert und ohne den Grad an Stilisierung, der die 50 Minuten der „Zwei Figuren in einer Landschaft“ zusammenhält. Dem Charme der famosen Interpretin jenes halb so langen „Glücks“ erliegt man indes allemal.
Bis 11.5., Dock 11
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