„Gardenia - Bevor der letzte Vorhang fällt“ Tanzfilm auf DVD

„Gardenia - Bevor der letzte Vorhang fällt“ Tanzfilm auf DVD

Prostituierte, Putze und Diva

Berührend: „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“ als Film auf DVD

Was als Theaterproduktion ein unerwarteter Erfolg wurde, über zwei Jahre um die 200 Vorstellungen in 25 Ländern erreichte, formte Regisseur Thomas Wallner vom Theaterstück zur Zelluloidproduktion um, ohne nur abzulichten, was auf der Bühne passierte.

Berlin, 30/06/2015

Orkanartiger Applaus, Ravels erotisch vibrierender „Boléro“ als unterlegte Klangemotion, Schnappschüsse des nächtlichen Gent, Alte vorm Spiegel am Schminktisch: Verwandlung vom Mann zur Bühnendiva. Das bin ich selbst, ich spiele keine Rolle, sagt eine; alles von mir abfallen lassen, bekennt die andere; eine tolle Erfahrung, mit 68 um die Welt zu fahren, freut sich eine dritte. Dann stülpen alle wie auf Kommando ihre gewaltigen Perücken über. Jene sechs Travestieartisten porträtiert der Film, die Alain Platel und sein Team einst für „Gardenia“ ausgesucht hatten. Was ein unerwarteter Erfolg wurde, über zwei Jahre um die 200 Vorstellungen in 25 Ländern erreichte, formte Regisseur Thomas Wallner vom Theaterstück zur Zelluloidproduktion um, ohne nur abzulichten, was auf der Bühne passierte. Wallner verlängerte in „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“ die Geschichte vielmehr ins Private, ließ die Akteure zu Wort kommen und vertiefte so den Eindruck nochmals. Teile der Aufführung schnitt er in die Passagen mit den Bekenntnissen der Spieler, eingefangen im heimischen Umfeld. Auf diese Weise wurden aus den Darstellern blutvolle Menschen in ihrem Umfeld und mit einer persönlichen, nicht eben landläufigen Vergangenheit.

Da ist die zur Frau umoperierte Vanessa, die tolle Beine hatte und begehrt wurde, jetzt aber keinen Sexpartner mehr findet. Gern wäre Richard Fotomodell geworden, doch die Nase ist zu groß: Manche Träume müsse man eben streichen. Zum Ausgleich, er arbeitete 25 Jahre in der Intensivstation eines Kinderkrankenhauses, tritt er en travesti auf, privat wartet er auf die Rückkehr seines chinesischen Freundes, lernt fleißig Mandarin.

Als größtes Geschenk seines Lebens empfindet Danilo, Prostituierte, bis er sich „dreckig“ fühlte, jetzt Putze in einem Bordell, die Mitwirkung in „Gardenia“. Für die nächsten zehn Jahre, schmunzelt er, reichen die mitgebrachten Hotelseifen der Welttour. Gereizt reagiert Gerrit, wenn sie auf den Jean-Pierre vor der Geschlechtsumwandlung in Casablanca angesprochen wird. Nach 26 Jahren als Frau lebt er wieder als Mann, allein, polstert Altmöbel auf. Männer, sagt er enttäuscht, sind ihm zu schwanzgesteuert.

Andrea hat sich nie umwandeln lassen, fühlt sich dennoch als echte Frau, wäre gern Bürgermeisterin für ihre sozialistische Partei. Rudy, 70 geworden, spielt einen Bürgermeister nur im Musical und steckt voller Ängste: Nie durfte er sich als Regierungsangestellter outen, traute sich erst für „Gardenia“ zu diesem Schritt, befürchtet Überfälle und hat schon sein Begräbnis geplant, mit Mahler als Begleitmusik. Er ist in diesem Panoptikum der tristen Typen vielleicht die tragischste Gestalt. Verwelkt wie ihre Träume schauen sie alle aus, faltig, aufgedunsen und so melancholisch, wie das Altern den Menschen werden lässt. Wenn sie sich aber Fummel um Fummel in ihre Wunschwelt zurückziehen, als aufgedonnerte Diven nochmals ihre Glanzparts imitieren, Marlene, Liza Minnelli, Tina Turner, dann wirkt das tief anrührend, weil man dank den Interviews sieht, wie viel Eigenes einfließt, wie viel Trauer bei jenen, die als strahlende Prostituierte gearbeitet haben und dabei Bitteres über Menschen erfahren mussten. Denn alle haben sie nur das gesucht, wonach jeder strebt: geliebt zu werden und lieben zu dürfen. Diese wahre Liebe ist ihnen das Leben schuldig geblieben, Alterseinsamkeit ihr Los.

Der Film setzt auf den Ausdruck von Gesichtern in Großaufnahme – und was haben diese Gezeichneten nicht alles zu erzählen! Sehnsuchtsvolle Musik unterstreicht die Aussagen, Schuberts leise flehende Lieder, die Klagearie der Butterfly, das Ay ay ay der traurigen Taube. Dass nach Ende der „Gardenia“-Tournee Rudy und Richard beste Freunde geworden sind und sich lächelnd zuprosten, gibt dem emotional wunderbar oszillierenden, mehrfach ausgezeichneten Film einen tröstlichen Schluss und macht nicht nur für diese beiden Senioren Hoffnung.

„Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“, Film von Thomas Wallner, 90 Min., good!movies, 2015

 

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