Prostituierte, Putze und Diva
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Weil sie bei sich geblieben sei in allen ihren Verwandlungen, resümiert Mary Wigman am Ende des 50-Minuten-Films den Erfolg ihrer zäh erkämpften Karriere. Da sind am Zuschauer der neuen DVD „Mary Wigman – The Soul of Dance“ die wichtigen Stationen ihres Weges vorübergezogen. Norbert Busè und Christof Debler haben hierzu Material in Archiven zusammengesucht und zu einer Filmcollage montiert: spärliche Originalmittschnitte, Fotos, Tagebuchpassagen, Zeitungsschnipsel im Wechsel mit Kommentaren von Zeitzeugen, Schülern aus später Ära oder „nur“ Bekennern, ergänzt durch allgemeine Zeitdokumente. Am Anfang des Films steht die überwältigende Resonanz auf Wigmans Auftritt in der Carnegie Hall 1929, als eine gänzlich Unbekannte den gänzlich unbekannten German Dance einem erst bloß überraschten, dann enthusiasmierten Publikum nahebringt. Und zwei weitere Touren durch die USA absolvieren wird, aus deren letzter sie in ein anderes, faschistisches Deutschland zurückkehren wird. Wohl weil sie daheim so hart um Anerkennung ringen musste, anfangs vor leeren Sälen auftrat, mochte sie sich den Erfolg nicht nehmen lassen, arrangierte sich zuerst mit dem Regime, bis das sie kaltstellte. Darüber berichtet der Film wenig, mehr über den glücklosen Start eines ins Gutbürgerliche hineingeborenen Mädchens.
Früh begabt für Sprache und Bewegung war sie, erfährt man, sah die Pawlowa, ohne beeindruckt zu sein, ging nach Hellerau ins Rhythmikzentrum, bis sie 1913 bei Laban auf dem Monte Verità den Eindruck hatte, nach Hause gekommen zu sein. Ohne Zwang zu tanzen, nackt in der Natur, das wurde ihre eigentliche Schule, daraus entwickelte sie mit dem Meister die Grundlagen für ein neues ästhetisches Bewegungskonzept. Aus persönlichem Schmerz entsteht des Nachts ihr „Hexentanz“, dessen Anfang man sieht. Nach der Ausheilung einer Tbc-Erkrankung intensiviert sie ihre choreografische Suche, bis sie nach fruchtlosen Versuchen 1920 endlich verstanden wird: in Dresden, dann in Deutschland, bald auch in Europa. Da hatte sie die 30 bereits hinter sich. Wahr, echt, tief - so beschreibt sie der greise Pianist Kurt Schwaen, und Wigmans frühere Lehrerin Suzanne Perrottet hinterlässt auf Tonband, Marys Tanz sei nicht schön, eher schwer gewesen. Das mag auf die Bodenhaftung abzielen.
Als größte deutsche Tänzerin bejubelt die Presse sie alsbald; in Dresden entsteht die erste Wigman-Schule, der viele weitere Gründungen folgen, auch in New York durch die Schülerin Hanya Holm. Palucca und Kreutzberg lernen von Wigman, der man nachsagt, sie habe keine Technik vermittelt, wohl aber, wie man Erleben in ganz eigene Form gießt. Wie viel Nachklang Wigmans Tourneen durch die USA hinterlassen haben, attestiert eine Forscherin und lässt den Zuschauer staunen: In allen Unis werde dort der „Hexentanz“ vermittelt, was eine Einstudierung nachweist, im Bildwechsel mit dem maskenbewehrten Original. Susanne Linke, Hedwig Müller, Sasha Waltz, Murray Louis, Norbert Servos und im Bonus-Interview Helmut Gottschild kommen ausgiebig zu Wort. Den Schlusspunkt setzt „Abschied und Dank“, Wigmans letztes großes Solo mit bereits 56. Ihren beschwerlichen Weg durch die Westberliner Ignoranz, als das Studio der greisen Lehrerin nur noch von ein paar unverbesserlich Neugierigen besucht wird, spart der Film aus. Als lebendige Einführung in eine wichtige Etappe der Tanzentwicklung ist er bestens geeignet.
Norbert Busè & Christof Debler: Mary Wigman – The Soul of Dance, Arthaus 2014, 50 Minuten plus Bonusmaterial
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