Martin Schläpfer verlässt Wiener Staatsballett
Direktor und Chefchoreograf des Wiener Staatsballetts verlängert seinen Vertrag nicht
Pick bloggt: Über die São Paulo Companhia de Dança und Schläpfers „b.22“
Glückliches Leverkusen, das zwar im Schatten von Köln und Düsseldorf liegt – zweier Kulturmetropolen, die sich stets darum bemühten, sich gegenseitig den Rang abzulaufen – doch beim Fußball war das, soweit ich zurückdenken kann, anders, da war Leverkusen immer Bundesliga und meist weit weit vorn.
Was den Tanz betrifft, dümpelte die Landeshauptstadt lange hinter Köln her, obwohl Yvonne Georgi und danach Kurt Jooss Anfang der 50er Jahre durchaus Erfolge feierten. Aber als Köln das neue Opernhaus baute und Aurel von Miloss den Duft der großen Welt mitbrachte, mit den Solisten Tilly Söffing, Helga Held, Lothar Höfgen und beispielsweise Maurice Béjart (der choreografierte dort als Gast das sensationelle, abendfüllende Stück „Die Reise“ mit Musik von Pierre Henry), da hatte Werner Ulbrich (damals hieß man noch Ballettmeister) trotz der Gsovski-Ballerina Edel von Rothe und Walter Cuhay in Düssldorf keine Chance mehr.
Leverkusen liegt natürlich näher an Köln, aber nach Düsseldorf fährt auch die S-Bahn. Der Grund, warum ich es glücklich nenne, ist, dass es mit dem Forum ein hervorragendes Theatergebäude besitzt, obwohl es leider kein eigenes Ensemble hat. Das Kulturreferat der Stadt und der dort beheimatete Großkonzern, der durch Erfindung und Vertrieb von Aspirin auch heute bis in den letzten Winkel Alaskas und Südafrikas bekannt ist, legt mit seinem Kulturangebot noch eins drauf.
Aus dieser Serie war die São Paulo Companhia de Dança zu sehen, die man auch das NDT Brasiliens nennen könnte. Nicht nur weil die Choreografen des Programms auch alle bei NDT gearbeitet haben, sondern weil die Tänzer auf gleich hohem Niveau tanzen. Zwar hat Billy Forsythe sein Meisterstück „In The Middle, Somewhat Elevated“, das die Kompanie bei ihrem Gastspiel zeigte, weder für sein Frankfurt Ballet noch für NDT erfunden, sondern für die Ballettartisten der Pariser Oper. Aber São Paulo muss sich nicht schämen und wenn es eine Weltmeisterschaft für Ballettensembles gäbe (Gott bewahre, dass es zu sowas kommt), dann könnten sie als rein brasilianisches Ensemble auf dem Treppchen Platz nehmen.
Zu Beginn des dreiteiligen Abends gab es ein etwas kindisches Stück von Marco Goecke, der es – warum auch immer – für dieses Ensemble erfunden hat, zu Benjamin Brittens „Simple Symphony“, die leider verhunzt wird durch den finnischen Chor Huutajat. Alles kein Zufall, sondern bis ins Kleinste durchdacht und einstudiert. Ich ziehe eine Stunde Zuschauen an einem Kinderspielplatz vor, das ist zumindest spannender als „Peekaboo“.
Das Programmheft erklärt „Gnawa“, das zwischen den beiden Stücken von Goecke und Forsythe ebenfalls meisterhaft über die Bühne fegt, mit einem islamischen Wort: Valencia, Sonne und Meer und mehr – und wenn ich so phantasietrunken gewesen wäre, wie beim Ballettabend in Düsseldorf bei Martin Schläpfer, hätte ich vielleicht noch mehr davon gehabt als nur die meisterhafte Choreografie. Vielleicht hätte ich es auch mit geschlossenen Augen als einen echten Nacho Duato erkannt.
Doch zurück zu Düsseldorf. Die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt erschien erst wieder auf der Ballettlandkarte, als Erich Walter von der Wupper an den Rhein wechselte und dort einen bleibenden Eindruck hinterließ. Übrigens mit jener Tilly Söffing, mit Joan Cadzow, die von Horst Koegler zurecht als „Imperiale Ballerina“ bezeichnet wurde, mit Marina von Othegraven und Renate Deppisch (ein Münchner Technik-Wunder, die mich, als wir mal auf unseren Auftritt im 3. Akt Schwanensee warteten, fragte, „wie macht die das?“ – obwohl sie es, wenn es auch nicht so aufregend aussah, mindestens so gut konnte wie die Cadzow). Da ich nun die Ballerinen aufgezählt habe, darf ich die Männer nicht zu kurz kommen lassen. E. Walter hat Peter Breuer entdeckt und einen Weltklassetänzer aus ihm gemacht, der auch Rollen gestalten konnte, und das hat er nicht aus München mitgebracht. Dann war da noch Alexis Freeman, ein ähnliches Phänomen wie die Cadzow. Und Peter, ein grundehrlicher Typ, fragte sich und andere, warum der Alexis die Leute mit wenig technischem Aufwand zu Beifallsstürmen hinreißen würde. Last but not least Paolo Bortoluzzi, ein Tänzer von Gottes Gnaden, der sich später als Choreograf leider demontierte.
Eigentlich wollte ich ja noch vom überaus vielsagend betitelten Ballettabend „b.22“ berichten (kommt auch im GPS vor, ist aber kein Wegweiser nach Duisburg, wo die Premiere stattfand). Der Abend begann mit einem brandneuen Stück von Matin Schläpfer zu Klaviermusik von Alexander Skrjabin und Franz Liszt und heißt „verwundert seyn – zu sehn“. Und so war es auch: Eine Perlenschnur von Andeutungen dessen, was uns persönlich beschäftigen könnte, aber auch was wir täglich in den Nachrichten hören, sich unsere kleine und die große Welt beschäftigt. Genial, verschlüsselt und doch sehr fassbar, wenn man sich drauf einlassen will.
Die Ballettdirektion des Martin Schläpfer hat der Rheinoper immer wieder Glanzstücke aus dem Repertoire des Welt-Tanzerbes gebracht und wenn er nicht so ein wertvoller Choreograf wäre, der zwar manchmal weit hergeholte Titel erfindet, so wären diese „Ausgrabungen“ doch eine Reise wert, da man diese sonst nirgendwo sehen könnte – und schon gar nicht so liebevoll betreut. In diesem Fall ist es „Moves“ vom genialen Jerome Robbins. 30 Minuten musiklos zu tanzen, haben mir den größten Eindruck dieses Ballettensembles abgenötigt! Und ich muss gestehen, am Ende kam ich mir auch so vor. Ein choreografisches Experiment, das durchaus gelungen ist, und eine wertvolle Bereicherung. Tanz ohne jeglichen Laut, trotzdem rhythmisch und vielleicht sogar etwas zu schön im neoklassischen Sinn. Jedenfalls war der Abend für mich damit beendet. Ich hatte keinen Sinn mehr für ein viel zu langes, in Mainz entstandenes, aufgewärmtes Waldesrauschen und -plätschern (Schläpfers „Ein Wald, ein See“) in höchst merkwürdigen Kostümen, trotz der diesmal teilweise recht eingängiger Klänge des Paul Pavey. Martin liebt es, sein Publikum zu strapazieren.
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