Zeitströmungen
Tanztheater international Hannover: Didier Boutiana und Sharon Eyal/Gai Behar
„Sara“ und „Killer Pig“ von Sharon Eyal bei Tanztheater International in Hannover
In Sharon Eyals Compagnie L-E-V (Israelisch für Herz) scheint jeder Muskel einzeln zu tanzen. Das nachtschwarze Stück „Sara“ zeigt die Tänzer in schwarzem Unisex-Latex als pulsierende, im knappen Licht gleißende Organe. Mal wird mit den Händen vor der Brust wirklich Herzschlag imitiert, mal zieht ein Tänzer mit der Hand im Mund etwas heraus. Vor allem aber befinden sich alle in stetem, lasziv-geschmeidigem Beat, der manchmal etwas ruckt wie bei einer schlechten Cam-Übertragung.
Nach diesem kurzen Blick ins düstre Innere der Blackbox Mensch, geht in „Killer Pig“ die Scheinwerfersonne auf, in der sich die Tänzer nun nackt produzieren in ihrer schönsten Äußerlichkeit. Zu den unendlichen Techno-Beats von Gai Behar mit ihren subtilen Crescendi, Orgasmen und Entspannungen, die auch das Publikum in Trance versetzen, zeigen die Tänzer ihre hochästhetischen Körper-Exerzitien, die erotisch locken und doch nur in keuscher Selbstverliebtheit glänzen. Ohne jede Berührung, Paarung, Verpartnerung. Eyal fokussiert ganz auf den massensynchronen Flow, federnd auf halber Spitze, zuckend, ruckend, Taillen reckend. Auch mal reihenbildend wie eine Gruppe aus Strawinskys „Noces“, überhaupt gern ins Klassische ausgreifend, in gestreckte Beine, Drehsprünge, Port de Bras – das passt perfekt, ist das Ballett vielleicht doch von ähnlich akribischem Corpsgeist durchwirkt wie die gestylte, entindividualisierende Technoszene (und das Militär).
Es gibt durchaus Vereinzeungen aus dieser Gruppenwelt, starke Soli oder Doppelsoli, vom Rand her von der Gruppe überwacht und letztlich bedrängt und zersprengt wie im Club. Auch die Soli zeigen freilich in ihrer selbstverliebten Trance das Aufgehen im fordernden Beat. Einmal wird in der verkrampften Ausführung auch die Selbstverstümmelung im Zwang des Rhythmus Thema. Eyal reißt so die schöne Oberfläche zuweilen auf, lässt in der gleißenden Gruppe die bedrohliche Seite des verführerischen Sogs spüren, dem auch das Publikum quasi im Selbstversuch erliegt. Eine hinreißende, geradezu gefährlich funkelnde Arbeit.
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