„OCD LOVE“ von L-E-V / Sharon Eyal & Gai Behar

„OCD LOVE“ von L-E-V / Sharon Eyal & Gai Behar

Zeitströmungen

Tanztheater international Hannover: Didier Boutiana und Sharon Eyal/Gai Behar

Die Kompanie L-E-V wurde zum mitreißenden Mittelpunkt des Festivals. Es ist schön zu sehen, wie das israelische Choreografenpaar seiner zeitgenössischen, technodurchpulsten Stilistik treu bleibt und doch neue Bewegungen kreiert.

Hannover, 14/09/2016

Vielleicht ist jede Liebe so eine Art Zwangshandlung. Wie OCD, eine Zwangsstörung mit Wiederholungsdrang. „OCD Love“ nennen Sharon Eyal und Gai Behar das neue Stück für ihre Kompanie L-E-V, angeregt durch Neil Hilborns Buch über eine Liebe mit OCD. Die wie ein schnelles Metronom getaktete Bewegungen der Tänzerin zu langsam schwellenden Tönen zeigen suggestiv unser unter fremdem Zwang rhythmisiertes Leben, das in panischem Gegensatz zu unserem bedrohlich unterdrückten Selbstgefühl steht. Da hilft auch das exzentrische Überstrecken der Glieder nichts, das bei den athletischen Tänzern jede Muskelfaser spüren lässt. Die Verzerrungen des unablässig im Takt pulsenden Körpers sind wie Hilferufe, sie erinnern an die prophetischen Fingerzeige auf Altarbildern ebenso wie an das gezierte Port de Bras des klassischen Balletts. Da bekommen selbst im stampfigsten Rhythmus die Arme auch der Kerle eine feminine Weichheit. Mal erinnern sie auch ans Dirigieren, an die Haltung einer Leier - oder einer E-Gitarre. Strecken sich die Arme nach dem Partner aus, durchzittern die Körper schon vor der Berührung. In einer langsamen Phase sind die Tänzer an den Fingerspitzen verbunden, dann schaukeln wieder zwanghaft die Beine. Der Partner weicht rückwärts vor der Tänzerin zurück. So mischen sich die alltäglichen Bewegungen von Annäherung, Zuneigung und Beziehung mit einer meist trancehaft-repetitiven Rhythmik, die wie im Techno-Club in den Bann schlägt. Und das mit äußerster Präzision und Selbstverausgabung.

Eyal und Behar wurden damit wiederum zum mitreißenden Mittelpunkt des Festivals Tanztheater international in Hannover. Es ist schön zu sehen, wie das israelische Choreografenpaar seiner zeitgenössischen, technodurchpulsten Stilistik treu bleibt und doch immer wieder neue Bewegungen kreiert.

Die andere starke Zeitströmung mit großem Einfluss auf das Tanztheater ist nach wie vor der Hip-Hop, seit Jahren auch ein zentrales Thema in Christiane Winters Festival. Diesmal zeigten drei Tänzer von Soul City aus La Réunion eine breakdancegestützte Auseinandersetzung mit den Mythen und Riten ihrer Heimat. Didier Boutiana schafft in „Priyer si priyer“ unter tiefhängender Lampe im dunklen Raum eine magische Atmosphäre. Die Jungs verlegen Steine aus einem Eimer, der später auch pantomimisch, aber schalllos beklopft wird wie eine Trommel oder über den Kopf gestülpt als Tarnhelm dient. Man schangelt im heiligen Dreieck, battelt mit Spins auf Kopf und Schultern, kniet mit erhobenen Armen oder rollt sich synchron über den Boden. Jugendkult und alter Kultus sind nicht weit voneinander entfernt, wenn sich die drei gegenseitig in den Schwitzkasten nehmen oder am Ende mit den Händen am Hals des Nächsten einen Menachenring bilden, der selbst Symbol ist. Über Kerzen werden die drei aber auch zu flatternden Geisterbeschwörern, wenn nicht gar selbst zu Geistern. Auf der französischen Indik-Insel womöglich noch eine echte Option. Die tänzerische Verbindung jedenfalls ist reizvoll und als quasi Clubabend im Gesamtprogramm eine wichtige Farbe. Vielleicht könnte man diese kleineren Formate künftig offensiv als spannende Sidekicks mit Jugendappeal anbieten. Mit 94 Prozent Platzausnutzung darf sich Tanztheater international als Schaufenster zeitgenössischer Trends bestätigt fühlen.
 

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