Natürlich schreibe ich nicht bei jedem Berlinbesuch einen Reisesplitter. Es passiert ja auch nicht immer etwas Erwähnenswertes. Außerdem liegen die Schwerpunkte dann meist auf Schauspiel und Ausstellungen, wenn ich dort bin, was ja vielleicht für die auf Tanz geeichte tanznetz.de-Gemeinde eher von zweitrangiger Bedeutung ist.
Auch in dieser vergangenen Woche ist kaum etwas geschehen, was einen Bericht rechtfertigen würde. (Obwohl die Botticelli-Ausstellung schon ein Genuss war und auch „Richard III.“ in der Schaubühne war nicht von schlechten Eltern. Außerdem fügte es sich, dass ich die Generalprobe des Dreiteilers „Duato/Kylian/Naharin“ beim Staatsballett Berlin mitbekam). Aber was ich für wirklich berichtenswert halte, ist Folgendes: Sie kennen das vielleicht: immer wieder fühlt man sich an die Orte seines Wirkens hingezogen - wie der Verbrecher an den Ort seiner Tat - vor allem, wenn man so ein Nostalgiker ist wie ich.
Mich lockt immer die Fasanenstraße, wenn ich in Berlin weile, die Stätte meiner Ballettausbildung. Um genau zu sein, zieht es mich zur Nummer 68, da wo Tatjana Gsovsky viele Jahrzehnte ihr Studio hatte.
Damals war die Fasanenstraße zwar auch schon beste Charlottenburger Wohnlage, aber gegenüber heute war das doch sehr bescheiden. Heute riecht die Straße nach Geld, sie ist gespickt mit edlen Kunstgalerien und nur das wunderbare Literaturhaus verleiht der Money-Meile einen Touch von gediegenem Intellektualismus.
Auch diesmal stehe ich also vor der Nummer 68 und überlege, was sich an dem Gebäude seit damals verändert hat. Das Fenster zur Straße hin war damals mit Mattglas versehen, damit nicht jeder reinglotzen konnte. Dieses Fenster hat man nun zur Tür erweitert und die bildet jetzt den Eingang zu einem edlen Antiquitätenladen. Der Laden war noch nicht auf, als ich da war, und so versuchte ich einen Blick durch die Scheibe zu erhaschen. Plötzlich durchfuhr es mich wie ein Blitz: Ich schaute auf das selbe Parkett, über das Generationen von Tänzern „glissiert“ sind. Ich sah das diagonal verlegte Quadratparkett von damals. Wie ist es möglich, dass bei der überall herrschenden baulichen Veränderungs- und Modernisierungswut sich ein solches Relikt erhalten hat? Vor meinem inneren Auge sah ich sie vor mir: Rainer Köchermann, Peter van Dijk, Konstanze Vernon, Gisela Deege, wie sie in hohen Sprüngen diesem Boden zu fliehen suchten, wie sie in diesem Raum, der die Größe eines Wohnzimmers hatte, dennoch versuchten raumgreifend zu tanzen. Und natürlich Tatjana in den Keilhosen, der großen Perücke, den Stock in der Hand, um, wenn nötig, den Takt zu skandieren. Kleine akzentuierte Schläge auf das Parkett. Auf das Parkett, was nun zu meinen Füssen lag. Oder habe ich mir das alles nur eingebildet?
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