Endlose Revolutionen
„100 Jahre Revolution“ - der erste Teil von Sergiu Matiş zweiteiliger Kreation in den Uferstudios Berlin
Kaskaden elektronischer Beats durchzittern den Raum. Die drei Tänzer reagieren darauf mit sequenziert motorischer Bewegung in steter Wiederholung, ruckhaft und fahrig, als seien sie mit gehetzten Körpern auf der Suche nach der wahren, festen Form. Auf der Suche nach der eigenen Tanzsprache ist auch der junge Tänzer Sergiu Matis, der für die Choreografie von „Explicit Content“ verantwortlich ist. Einer mit höchst ungewöhnlicher Biografie. Der Ausbildung in seiner rumänischen Heimatstadt Cluj schloss sich ein Studium an der Akademie des Tanzes in Mannheim an, als Stipendiat der Birgit-Keil-Stiftung. Sein erstes Engagement hatte er am Staatstheater Nürnberg bei Daniela Kurz. „Ich war neugierig, wie Tanz auf die Gegenwart reagiert, wollte eine andere Körpersprache kennenlernen“, sagt er. Weg aus der Welt des Balletts, das er museal findet, mit engem Bewegungsrahmen, fixen Erzählstrukturen, einer Ideologie aus Kontrolle, Ordnung, Gruppengleichheit. „Das dominiert und kontaminiert den Körper“, meint er etwas ketzterisch. Im Tanz bemerkt man die klassische Schulung: Er bewegt sich präzis und filigran, weiß genau, was er will.
Sieben Jahren Nürnberg folgte in Berlin der Masterstudiengang „Solo/Dance/Authorship“ am Hochschulübergreifenden Zentrum als endgültiger Einstieg in den zeitgenössischen Tanz. „Es reizte mich, Tanz in Worte zu fassen. Das half mir, die eigene Arbeit besser zu strukturieren“, sinniert Sergiu: „Wie spiegelt man die Zeichen unserer Zeit durch Bewegung? Und wie beeinflussen unser heutiges Empfinden und die politische Lage den Körper?“ Nicht direkt wolle er das auf die Bühne stellen, wohl aber als Atmosphäre. Dann wird er noch konkreter: Wie steuern die Macht der Politik und die Technologie unser Denken, wie kann man den neoliberalen Kapitalismus überwinden? Schichten an Information seien unserem Körper eingeschrieben, die Vergangenheit stecke in ihm, sei darin archiviert. Es gehe aber darum, ein neues Bewegungswissen für eine zunehmend komplexere Zukunft zu entwickeln.
Dazu arbeitet Sergiu gern auch mit Schauspielern und Musikern: Es sei spannend, wie „normale“ Körper reagieren. Für „Explicit Content“ hat er sich jedoch Tänzer mit klassischem Basiswissen ausgesucht, neben ihm selbst Maria Walser, Enkelin von Martin Walser, und der US-Amerikaner Luis Rodriguez. Als Teile der „Ballett-Maschine“ fungiere das Trio, präsentiere „tanzende Cyborgs“, erläutert er sein Konzept. Das behandelt natürlich sein gegenwärtiges Lieblingsthema: den Widerstand gegen die rigide, artifizielle Form; die Lust, in der puren Technik aufzugehen und die Unzulänglichkeit des Körpers hinter sich zu lassen. Welche überkommenen Traditionen Sergiu Matis bei seinen Experimenten künftig überwinden wird, darauf darf man gespannt sein.
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