Martin Schläpfers Ballett am Rhein zu Gast bei der BallettFestwoche 2015
Martin Schläpfers Ballett am Rhein zu Gast bei der BallettFestwoche 2015

Traum zwischen Resignation und Wonne

Martin Schläpfers Ballett am Rhein bei der BallettFestwoche 2015

Als Gastcompany zeigt das Ballett am Rhein mit „7“ zu Gustav Mahlers riesenhafter 7. Symphonie, wie man sich die Zukunft des Tanzes wünschen kann, und brachte zu deren Aufführung gleich die Düsseldorfer Symphoniker nach München mit.

München, 22/04/2015

Im Zuge des für die letzten drei Spielzeiten seiner Amtszeit geltenden Mottos „Tanzland Deutschland“ lud Ivan Liška für das Gastspiel der BallettFestwoche 2015 nach Sasha Waltz im vorigen Jahr ein weiteres nationales Ensemble ein, das Aufsehen erregt: Martin Schläpfers Ballett am Rhein. Die 48-köpfige Company kam mit „7“ zu Gustav Mahlers riesenhafter 7. Symphonie und brachte zu deren Aufführung auch gleich die Düsseldorfer Symphoniker mit.

In Martin Schläpfers Choreografie sieht man oft groß getanzte Gebärden, die ihrem Gehalt nach augenfällig aus der Musik hervorgehen. Die Posen, Schritte und Bewegungen sind minimal verzögert und dadurch stärker exponiert. Sie wirken, wie die Anordnung der Tänzergruppen, auch wenn sie nur klein sind, monumental. Etwas Geheimnisvolles umgibt diese Figuren, die durch eine schicksalsergebene Solidarität miteinander verbunden sind. In dieser Verbundenheit aber dringen bald Anzeichen für ihre Fragilität ein. Man hat das Gefühl, mit exemplarischen Menschen auf der Reise zu sein, wartet teilnehmend darauf, was ihnen zustößt, und lässt von ihrem Tanz bereitwillig die eigenen Assoziationen lenken, zu denen diese ungeheure Symphonie von Gustav Mahler anregt. Diese verströmt sich kraftvoll strahlend, von den Düsseldorfer Symphonikern unter der musikalischen Leitung von Axel Kober intensiv und farbenreich gespielt. Der Subtext, der den von Schläpfer choreografierten Bewegungen zugrunde lag, schien auch von den aus dem Orchester zu hörenden Tönen auszugehen und machte bereits den 1. Satz dieses ohne Pause fast eineinhalb Stunden lang zu bestaunende symphonische Ballett zu einem Musikerlebnis.

Im weiteren Verlauf wird offensichtlich, dass Martin Schläpfer als Tanzsprache sein ganz eigenes Idiom konsequent weiterentwickelt hat. Seine Choreografie fundiert auf Situationen des Alltags und Reaktionen auf sie, die Bewegungen entstehen ohne Hast aus Grundstellungen, wie das Gewicht der Körper sie bedingt. Dadurch behält auch „7“ etwas Erdiges, schwebt nicht beliebig in der Luft, sondern transformiert konkrete Momente aus vorüber ziehenden Lebensausschnitten eines Menschen in Tanz. Man möchte meinen zu sehen, was der Mensch da träumt, und merkt, dass man schon eine Zeit lang beim Entziffern des tänzerischen Geschehens die Musik nur noch als Hintergrund dazu wahrgenommen hat. So ebenbürtig steht Schläpfers Choreografie neben dieser grandiosen Symphonie! Sie ist eminent musikalisch, kraftvoll, gedankenreich, expressiv – und bleibt, wie jede große Kunst, ein Rätsel.

Zurück zu dieser Tanzsprache: Oft rauen kleine Zwischensteps den Bewegungsfluss auf, den man im Ballett zu sehen gewohnt ist. Doch das passiert in einem solchen Tempo, dass keine Verzögerung einen Bruch entstehen lässt, sondern man einen erneuerten Tanz fließen sieht. Dieser Tanzfluss mündet kurz in eine häusliche Idylle von begeisternder Natürlichkeit, wie jeder sie ersehnt, sie aber im nächsten Augenblick bedroht ist. Der Abwechslungsreichtum der Choreografie, der manchmal ein großes Ensemble von Männern und Frauen zeigt, manchmal eine einzelne Solistin gegenüberstellt, lässt auch humorvolle Ironie zu, beispielsweise wenn Martin Schläpfer sich mit klassischem Tanz für den Fall auseinandersetzt, dass er sich in technischer Virtuosität erschöpft. Auch in „7“ gibt es märchenhaft schöne Passagen schwerelosen Schwebens, Schläpfers Choreografie aber wechselt organisch zwischen harmonischer Leichtigkeit, trauriger Resignation oder liebevoller Mitteilung. Neben dem stets zu spürenden Gehalt gibt sie den Tänzern durchaus Gelegenheit, ihre Virtuosität zu zeigen: rasante Batterien, hohe Ecartés oder die Power des großen Männerensembles. Wenn das die Zukunft des Balletts ist, wäre sie nicht schlecht. Zeitgemäß modern und zeitlos! Die Arbeit dieses Choreografen hat mit der Kombination ihrer hier nur zum Teil genannten Elemente das Potenzial und die Tendenz, immer besser zu werden, und es wäre wunderbar, wenn er alle paar Jahre ein weiteres Highlight wie „7“ herausbringt. Danke für dieses Gastspiel!

Nur noch heute, am 22. April. Es gibt noch freie Plätze.
www.staatsballett.de

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