Veränderung als Konstante des Lebens
Sieben Uraufführungen beim Dance Lab am Theater Regensburg
„Das ist noch einmal ein Bonbönchen für die Damen“, kündigte Ivica Novakovic schwärmerisch das letzte Ensemble der 14. Internationalen Aids-Tanzgala im komplett ausverkauften Velodrom an. „Die Männer kommen diesmal zu kurz“, schob er freimütig hinterher, „außer sie sind wie ich“. Bei der niederländischen Gruppe Introdans gehe es in der Choreografie „Three“ um Präzision, Physis und Kraft, um alles eben, „was Männer so ausmacht“. Dem romantischen Überschwang des Moderators schlossen sich wenig später die begeisterten Zuschauer mit enthemmtem Trampeln und Hochrufen an. Die für den niederländischen Tanzpreis „The Swan“ nominierte Choreografie des Amerikaners Robert Battle war eine der witzigsten und mitreißendsten Produktionen des an guten Tanzstücken reichen Abends. Die drei Tänzer Lucas Donner, Gijs Hanegraaf und Tiago Barreiros waren einfach zum Niederknien. In einem knappen, blauen Turndress plusterten sie sich wie spätpubertierende Jungs auf, überboten sich an kraftstrotzender Männlichkeit und zeigten sich verspielt zärtlich. Zum entschiedenen Groove eines beatboxenden Sounds und eines modernen Ragabeats ging von ihrem hochemotionalen und sehr akribischen Tanz ein imaginärer Schweißgeruch aus, der jeden Chippendale hätte vor Neid erblassen lassen.
Hocherotisch, wenn auch konventionell beim Objekt gegenseitigen Begehrens, war auch das kurze Stück „Callas“ der chilenischen Choreografin Estefania Miranda. Dieses Duo, eine Uraufführung, war ein Ausschnitt einer größeren Produktion über die große Sopranistin Maria Callas für das Konzerttheater Bern. Zu Callas' Gesang, einer Arie aus „La Traviata“, tanzten Olive Lopez und Winston Ricardo Arnon aus Surinam sehr geschmeidig die Begegnung der griechischen Diva mit dem reichen Reeder Aristoteles Onassis. Die beiden zelebrierten die Episode mit muskulöser Leichtigkeit – dabei fehlte noch ein wenig von der knisternden Anziehungskraft, die zweifellos zwischen diesen Figuren geherrscht hat. Die Premiere des ganzen Tanzstücks mit fünf Tänzerinnen, die die Callas in ihren Facetten verkörpern, ist Anfang Dezember in Bern.
Ein weiteres Männerstück stellte Landerer&Company mit dem Duett „Play“ auf die offene Weiträumigkeit des Velodroms. Im Unterschied zur ironischen Lust von „Three“ pendelte Felix Landerers Choreografie zwischen männlich konnotierter Aggression und Groteske. Da wird sich aufgemandelt, in die Brust geworfen, der eine zurechtgerückt, der andere beiseite geschoben. Sie schmiegen sich aneinander, betteln um Zuwendung, tastende Berührungen bleiben offen, wo sie hinführen. Es ist ein teils weiches, teils latent gefährliches Spiel voller schöner Bewegungsabläufe und stolzer Haltungen, in Alltagskleidung zu einem spannenden Sounddesign elegant und mit durchdringender Klarheit getanzt.
Als Uraufführung stellte der in New York lebende norwegische Tänzer Jon Ole Olstad sein stark autobiografisch gefärbtes Solo „Container Ship“ vor. Der große Künstler scheint über mehr Gelenke zu verfügen, als jeder normale Mensch. Wie eine Raupe, die sich ver- und gleich wieder entpuppt, tanzte, schlängelte, wand der sich am Boden, schnellte hoch in die Luft und wirbelte um sich, dass manchem beim Zuschauen schwindelig werden konnte. Es war eines der eigenwilligsten tänzerischen Statements des Abends, krass in seiner ungewohnten Ausdrucksweise und unter die Haut gehend.
Demgegenüber bestach Jutta Leidholds Soloperformance „Me plus X“ mit einem enormen Kostüm (Annkathrin Selthofer), das von Windmaschinen zu weichen Stoffbehausungen aufgebauscht wurde, durch sein poetisch-leichtes Spiel. Durch Licht und Bewegung befindet es sich in einem ständigen Fluss und erzeugt effektvoll-leuchtende Bilder. Eher die innere Auseinandersetzung, als die faszinierende Show suchen Brit Rodemund und Ami Shulman in ihren Solos, die sie selbst mitchoreografiert haben. Selbstreflexiv formulieren sie die eigenen Bewegungen, Wege und inneren Vorgänge beim Tanzen parallel in sprachlicher Form. Die beiden Tänzerinnen der erst Anfang des Jahres neu gegründeten Berliner Kompanie „Dance On Ensemble“ blätterten mit diesen überraschenden Solos einen Ausschnitt einer umfassenderen Choreografie über persönliche Haltungen und Erfahrungen auf.
Ebenfalls zwei Frauen, Veronica Bracaccini und Maria Focaraccio von der Lablanca Movement Factory läuteten den großartigen und ziemlich kurzweiligen Abend in Regensburg mit einem knackigen Groove ein. Angeregt von Videospielen und modernen Medien stiefelten die Tänzerinnen in einer Mischung aus weiblichen Blues Brothers und erotisch aufgeladener Discobraut durch die originelle Choreografie „Mensch“ des Spaniers Julio C. Quintanilla.
Aus Dunkelheit und Stille heraus beginnt Simone Elliotts Stück „Jarred“, Durchgeschüttelt, das sie für ihr eigenes Ensemble vom Theater Regensburg choreografiert hat. Dabei geht es um das Verhältnis von Gruppe und Einzelnem. Wie ein vielgliedriges Wesen versucht die Clique Tänzer, die ihren eigenen Weg gehen, wieder zurückzuholen, einzuverleiben. Das geschieht schmeichelnd, zerrend und ist – auch über die einsam-klagende Flötenmusik – ein schmerzhaftes und melancholisches Unterfangen. Großartig getanzt, geht das Ensemble zurück in die Stille.
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