Kontinuität
Goyo Montero bleibt bis 2028 Ballettdirektor in Nürnberg
Ballettabend mit Stücken von Montero und Bigonzetti am Staatstheater Nürnberg
Stabwechsel am Staatstheater Nürnberg: Intendant Peter Theiler führt ab 2018 die Geschicke an der Semperoper in Dresden. Die Nürnberger Geschäfte übernimmt dann Jens-Daniel Herzog, aktuell noch Opernintendant in Dortmund.
Keine Umzugskisten packen wird Goyo Montero, der seit acht Jahren Ballettdirektor und Chefchoreograf ist. Mehrfach international ausgezeichnet für seine hervorstechende Ensemblearbeit als Künstler und Spartenchef wird der gebürtige Spanier auch in den kommenden Jahren den Tanz im Haus am Richard-Wagner-Platz hegen und pflegen. Dies ist uneingeschränkt als Glücksfall für die Fankenmetropole sowie für die Tanzlandschaft in Süddeutschland und den Tanz in Deutschland generell zu werten. Oft haben in ähnlichen Situationen die Tanzensembles am Haus und ihre Leitungen das Nachsehen oder müssen gar um den Erhalt ihrer ganzen Sparte kämpfen. Hier aber wird der geleisteten Aufbauarbeit Rechnung getragen, Nürnberg zu einem der wichtigsten Orte entwickelt zu haben, an denen nicht nur mit Monteros künstlerischer Arbeit eine überzeugende Variante zeitgenössischen Ballettschaffens zu erleben ist, sondern auch das aktuelle internationale Repertoire.
Behutsam hatte Montero in den vergangenen Jahren Stücke von Mauro Bigonzetti, William Forsythe, Nacho Duato, Crystal Pite, Jirí Kylián oder Christian Spuck in seinen Spielplan einfließen lassen, die die technischen und künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten des Ensembles beträchtlich erweitert haben. Goyo Montero, freundlich, offen und bescheiden im Auftreten, hat mit seiner Hingabe, seiner Vitalität und eindrücklichen Nachdenklichkeit auf diese Weise eine Kompanie geformt, die trotz eines kompletten Tänzerwechsels in den vergangenen acht Jahren nichts von ihrer besonderen Frische, Präsenz und Bewegungsdynamik eingebüßt hat. Im Gegenteil. Monteros sehr physischer, gruppenorientierter, zeitgenössischer choreografischer Stil sowie seine immer wieder sich zur Erzählung bekennende Inszenierungsweise, die das große Bild liebt, erstrahlt bei seiner ersten Premiere der Saison in neuer Klarheit.
Seine Uraufführung darf hierbei getrost als weiterer Höhepunkt seines bislang entstandenen Kanons betrachtet werden: Erneut offenbart sich Montero als Künstler, der nicht dem Mainstream folgt. Es ist eher so, als ob hier einer mit jeder neuen Choreografie bei sich und den sich aktuell stellenden Fragen über das Leben und den Tod bleibt. Persönliches, Biografisches, Wegmarken werden sichtbar, ohne dass es sich dem Betrachter aufdrängt; die Bearbeitung in einem überindividuellen, allgemein gültigen, für sich stehenden künstlerischen Entwurf eröffnet auch diesmal zahlreiche Möglichkeiten, mit seinem Werk inhaltlich und emotional in Resonanz zu treten.
Montero hat „Monade“, so der Titel seiner Uraufführung, seinem Vater gewidmet. Der Begriff, Äonen vom heutigen digitalen, technisierten Lebesgefühl entfernt und vermutlich noch am ehesten Germanistik- oder Philosophiestudenten bekannt, vereint und beschreibt seit der Antike, mit Ausdifferenzierungen im 16. und 17. Jahrhundert, die Vorstellung einer Einheit von allem Leben mit sich selbst, bezogen auf einen großen Ursprungsgedanken hin. Montero dient er hier als ein - wenn auch pathetisch klingender - Überbau. Immer wieder benutzt Montero das Wort für seine Kreationen, um über die Ebene der getanzten Bewegung hinaus weitere Sinnzusammenhänge einzuarbeiten oder sie von Texten her zu motivieren. Das eigentliche Ereignis bricht sich jedoch nicht dort Bahn.
Eingebettet in eine theatrale Situation des Trauerns - der Bühnenraum bildet einen von Goyo Montero und Eva Adler entworfenen sakralen Raum ab – hat der Tanzchef erstmals sein Ensemble sowie den Chor des Hauses in einer Inszenierung und Choreografie zusammengefügt. Musikalisch getragen wird das Experiment von verschiedenen geistlichen Kantaten von Johann Sebastian Bach. Kaum unterscheidbar sind von Anfang an Tänzer und Sänger - mit dem ersten Ton folgt jeder seiner Art des Ausdrucks. Die Tänzer tanzen zwischen den Kollegen und in nächster Nähe zu ihnen. Nie löst sich der faszinierende, einheitlich atmende Gemeinschafstkörper auf, den die über 40 Künstler gemeinsam herzustellen vermögen. Auf den seelenvollen Gehalt der Kantaten antwortet das Tanzensemble mit einer expressiven, viel den Boden einbeziehenden, markigen Gruppenchoreografie, die perfekt mit den Chorälen und Arien korrespondiert und dennoch etwas sehr Eigenständiges zum Ausdruck bringt. Das Bezaubernde ist erleben zu dürfen, was der Tanz kann: dem Gesang einen Körper zu verleihen, der Musik eine Physikalität. Das, was die Musik erzählt, wird hier Ereignis: die sich im tanzenden Körper ausdrückende Lebenskraft, die deshalb so spürbar wird, weil vom letzten Absoluten was diesen Tanz bedroht, erzählt wird – die Gewissheit des Todes jeden Körpers irgendwann. Wie so oft in seiner Ästhetik setzt Montero in „Monade“ einige narrative Spots: nur noch zappelnd der Körper desjenigen, der trauert, oder Kisten, die hereingetragen werden als Symbol der letzten Bettstatt. Sie dienen mehr der Strukturierung und dem Vorankommen des Werks, an dessen gemeinschaftlichem Dialog von Körper und Gesang man sich kaum satt sehen kann.
Kongenial dazu passend die Gastchoreografie von Mauro Bigonzetti, „Antiche Danze“ aus dem Jahr 2014 für zehn Paare - ein heiteres Ensemblestück zu drei Orchestersuiten des italienischen Komponisten Ottorino Respighi aus den Jahren 1906 bis 1931. Bigonzetti steckte die Tänzerinnen in knielange Reifröcke, die zu Beginn des Stückes über den Kopf gezogen wie übergroße Tulpenköpfe die Bühne füllen. Eine Tänzerin fällt aus dem Rock nach unten – im Fortgang der Choreografie wird dies zunehmend zu einem Symbol für die Entwicklung des Tanzes und der Frau im Tanz, die sich vom knöchellangen Kleid vor mehreren hundert Jahren bis zum Tutu-losen Trikot in der Postmoderne im wahrsten Sinne des Wortes Bewegungsfreiheit eroberte. Das ist aber nicht unbedingt das Spannende an Bigozettis Stück, sondern vielmehr im Umgang mit der Zeit zu finden. Immer wieder hält das Stück an, die symmetrisch aufgebauten Gruppenformationen im Raum verharren in Stille in der Pose. In diesen Moment schiebt Bigonzetti Duette zwischen Mann und Frau ein, deren Musik erst nach einer Weile einsetzt. An anderer Stelle verlangsamt die Gruppe ihren Bewegungsfluss und setzt ihn in Echtzeit parallel zum Tanz. John Cranko hat dieses Stilmittel bereits 1961 in „Romeo und Julia“ genutzt, um verschiedene Perspektiven gleichzeitig für den Betrachter zugänglich zu machen, quasi ein Aufbrechen des linearen Erzählens zugunsten auktorialen Arbeitens. Bei Bigonzetti entsteht so in der Fantasie des Betrachters ein zunehmend komplexer werdendes, überdimensionales Erinnerungsbild an Tänze aus fernen Zeiten, die dem Bühnentanz heute wie tief verborgene archäologische Schichten zugrunde liegen.
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