Sprühende Funken
Das Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz verabschiedet sich mit „Sparks“ in die Spielzeitpause
Musiktheater nicht für Spezialisten, sondern für ganz München – das ist die bisher sehr erfolgreiche Devise des Gärtnerplatztheater-Intendanten Josef E. Köpplinger. Und so kann auch Tanzchef Karl Alfred Schreiner sicher sein, dass seine neue Arbeit „Chicago 1930“ allgemeinen Anklang findet. Allein schon der Name der ‚Windy City’ ist Metapher für fetzige Musik und Mafiageschichten – in die so gut wie jeder durch Francis Ford Coppolas Trilogie „Der Pate“ und andere Mafia-Filme und TV-Serien bestens ‚eingesehen’ ist.
Der Premierenbeifall im Münchner Cuvilliéstheater war schon mal enorm. Verdient dank einem von Musik bis Tanzqualität und Bühne großartigem Kreativteam: Rifail Adjaparsics so typisch amerikanische Backsteinarchitektur, inklusive Außenfeuerleitern, lässt sich schnell in Tanzbar und Kneipenhinterzimmer umwandeln und – mit Buntglasprojektionen in den Fensteröffnungen – sogar in ein Gotteshaus. Und genau zwischen diesen Polen: einer durch die Prohibition erst recht befeuerten Amüsiergesellschaft, dem Mafiawesen und der von den Italo-Amerikanern – zumindest als Folklore – hochgehaltenen katholischen Kirche spielt ja Schreiners Geschichte.
Los geht es mit einer wilden Ballerei, einer toten Frau und ihrem nun verwaisten kleinen Luigi – der zum jugendlichen Draufgänger und Kleinkriminellen heranwächst. Um in die Mafia-‚Familie’ des berüchtigten Don (Alessio Attanasio) aufgenommen zu werden, erledigt Luigi (Giovanni Insaudo) den Auftragsmord an dem kleinen Gemüsehändler des Stadtviertels. Das alles wird choreografisch-mimisch erzählt, ist allerdings leichter dechiffrierbar, wenn man vorab die Inhaltsangabe im Programmheft gelesen hat. In schnell wechselnden Szenen rangeln und prügeln sich die Jugendlichen; huschen dunkle Trenchcoatdetektive (oder sind es Gangster?) wie große nervöse Fledermäuse über die Bühne; dienen sich die Mafiaunterlinge in marionettenhaftem Tanztheatergestus ihrem Boss an – bei dem man sicher Chicagos mächtigsten Mafioso Al Capone assoziieren soll. Luigi erlebt mit Maria (Ariella Casu) seine erste Liebesnacht, ohne zu wissen, dass sie die Tochter des Gemüsehändlers ist. Und mehrmals toben sich die kleinen Leute in schwofigen Paartänzen aus oder im Beine schwenkenden Lindy Hop beziehungsweise Jitterbug. Die 30er-/40er-Jahre waren ja die große Zeit der fantasiereichen, geradezu akrobatischen Tanzbodenselbstdarstellungen.
Karl Schreiner hat sich diesen ersten Teil, zugegeben, abwechslungsreich ausgedacht. Dennoch wirkt er durch eine (gefühlte) Überfrachtung mit sich immerzu ähnlich weich durch den Körper schlängelnden Bewegungen relativ gleichförmig. Dieser Akt I wird vor allem gerettet durch Andreas Kowalewitz, der das Gärtnerplatz-Staatsorchester zu hinreißenden jazzigen Rhythmen und Melodieschmelz beflügelt, ob bei Nick LaRoccas „Tiger Rag“ – prächtig gesungen von einer Handvoll Tänzer, angeführt von Multitalent Sandra Salietti –, Duke Ellingtons „Caravan“ oder George Gershwins „Summertime“. Aber Schreiner hat doch seit seinem nach gleichem Muster gebauten „Berlin 1920“ von 2013 dazu gelernt. „Chicago“ Akt II, nämlich die Selbstanalyse und Reue Luigis, hat eine gewisse ruhige Dramatik – stimmig eingebettet in die seidig-melancholischen Streicherkompositionen von Bartók, Schostakowitsch, Hindemith und Samuel Barber. Wenn wie in einem Traum der sterbende Gemüsehändler von seinem Geist (Isabella Pirondi unter roter Kopfmaske), von Luigi und Maria behutsam tänzerisch geführt, gehalten und getragen wird, geht der Abend einen gefühlsechten Moment lang hinaus über routiniertes Stadttheatertanzhandwerk. – Das Gärtnerplatz-Tanzensemble nimmt auch hier wieder, mit jeder Herzensfaser, die technische und darstellerische Herausforderung an.
Weitere Vorstellungen am 25., 27., 28., 29.7. um 19:30 Uhr.
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