Martin Schläpfer dokumentiert

Annette von Wangenheims Film „Feuer bewahren - nicht Asche anbeten“

Die Kölner Regisseurin Annette von Wangenheim hat Martin Schläpfer 15 Monate lang beobachtet und begleitet. Entstanden ist in fast vierjähriger Arbeit ihr Dokumentarfilm „Feuer bewahren - nicht Asche anbeten“. Nach etlichen Previews kommt er am 11. Februar ins Kino.

Düsseldorf, 25/01/2016

Lässt sich die Kunst und Persönlichkeit eines lebenden Choreografen im Zenith seiner Schaffenskraft, zumal eines vor Ideen förmlich überschäumenden Talents und entwaffnend unverstellter Mensch wie Martin Schläpfer, überhaupt dokumentieren? Der Film fokussiert auf das Jetzt. Kleine Sequenzen aus fünf Balletten des aktuellen Repertoires werden in logisch nicht erkennbarer Abfolge und ohne jede Erklärung der Auswahl eingestreut: „Forellenquintett“, „Ein Wald, ein See“ sowie „Johannes Brahms - Symphonie Nr. 2“. Die beiden Uraufführungen von 2014, Hans van Manens „Alltag“ für und mit dem Tänzer-Choreografen sowie „Deep Field“ mit der Originalmusik von Adriana Hölszky, gehören eindeutig zu den Meilensteine im gesamten Oeuvre.
Einblicke in das Privatleben werden eingestreut: auf der Wanderung vom Feriendomizil aus, einer Steinhütte hoch in der Einsamkeit des Tessin, und in seinem Düsseldorfer Haus inmitten üppig wuchernder Gartenvegetation - ein Paradies mit Kaninchen und Katzen, lauschigen Ruhe- und Sitzplätzen.

Weggefährten und Mitarbeiter kommen en passant zu Wort: der bewunderte, väterliche Freund van Manen, der ihm mit „Alltag“ ein Tanzstück über einen Choreografen schenkte. Gert Weigelt, der grandiose Tanzfotograf, der nicht nur kongenialer Chronist der künstlerischen Arbeit ist, sondern sich auch selbst künstlerisch verwirklichen darf mit inszenierten Skulpturen. Seine Kalender und Ausstellungen zeugen von seiner Meisterschaft. Schläpfers langjährige Dramaturgin, die wortgewandte Musikwissenschaftlerin Anne do Paҁo, stellt sich in aller Bescheidenheit als Mitdenkerin und Analystin vor. Rheinopern-Chef Professor Christoph Meyer lässt sich strahlend im Rohbau des neuen Tanzhauses ablichten. Die glamouröse, dynamische Ballerina Marlúcia do Amaral gesteht den Wert der von ihr nicht sonderlich geliebten Trainingseinheiten als einzigen Weg zur künstlerischen Freiheit eines Tänzers ein. Die Komponistin Adriana Hölszky begeistert sich während der Proben zur Uraufführung ihres Auftragswerks für der Qualität der Tänzer.

Natürlich lässt auch Schläpfer selbst sich manche Kontemplation, manches private Gefühl, manchen Hinweis auf seine Lebens- und Denkweise entlocken. Gedankensplitter, Momentaufnahmen sind das. Wangenheim scheint ängstlich darauf bedacht, dem Künstler nicht zu nahe zu treten. Aber wie ein unfertiger Flickenteppich mit ein paar funkelnden Pailletten wirkt der Film nun.

Wohl erlebt der Schläpfer-Verehrer beglückende Momente des Wiedererkennens von Tänzern und verblüffenden Bewegungsinnovationen, die mit der Musik korrespondieren, ohne sie etwa nur zu illustrieren oder Rhythmen zu imitieren. Natürlich liebt man, ein bisschen verschämt, diese kleinen Augenöffner: in Schläpfers Küche lugen dürfen, wenn er Kräuter gewürzte Hähnchenbrustfilets brät und dann in einem herrlichen alten Rundlehnenstuhl im Garten genüsslich und schmunzelnd verzehrt. Er esse gern und halte nichts von der Mär, dass Tänzer nichts essen dürfen, verteidigt er sich. „Bei dieser vielen Arbeit!“ empört er sich augenzwinkernd.
Viel wichtiger ist ihm allerdings zu vermitteln, warum ein so liebenswert lausbübischer Naturbursche ein archaisches Folterinstrument menschlichen Körpers wie den Spitzenschuh für unabdingbar für seine Arbeit erachtet. Warum er überhaupt Ballette kreiert. Im Filmtitel läge doch eigentlich der ideale Angelpunkt für ein tiefgreifendes Porträt dieses wahrlich „zeitgenössischen“ Ballettschöpfers: „Feuer bewahren - nicht Asche anbeten“, zitiert er Gustav Mahlers so wunderbar poetisch einleuchtende Sicht auf den Umgang mit Traditionen, deren Wert es für das Heute sichtbar zu machen gelte.

Eine längere Szene vom Training, das Schläpfer mehrmals wöchentlich leitet, verdeutlicht, wie wichtig ihm die rigide Danse d'école mit ihrem unerbittlichen Drill für sein choreografisches Schaffen ist. Man kennt seinen mitunter brutalen Umgang mit„der Waffe Spitzenschuh“ - wenn etwa Marlúcia do Amaral ihrem Partner die harten Spitzen in die Füße bohrt oder sie die Spitze laut krachend aufsetzt, den Schuh harsch kratzend schleifen lässt. So etwas ist nur möglich, wenn man „die Technik des Spitzenschuhs auch pflegt“, beharrt Schläpfer.

Der generelle Verzicht auf verbindende Texte oder wenigstens hörbar gestellte Fragen entlang der Biographie oder des choreografisch-tänzerischen Denkens und Tun erweist sich für den Zuschauer als enormes Handicap. Es führt dazu, dass Schläpfer - weiß Gott kein eitler Selbstdarsteller, sondern ein ständig ringender, demütiger Zweifler - viel zu ausschließlich für und über sich selbst sprechen muss. Die wichtigsten Fakten müssten doch wohl in der Dokumentation eines Künstlers genannt werden - Lebensdaten und Karrierestationen, die Modalitäten seiner Arbeit beim Ballett am Rhein, wichtigste Auszeichnungen und seine Stellung in der Ballettwelt. Ob Dokumentation oder Filmporträt, wie der Ansatz des Films an anderer Stelle definiert wird: beides trifft nicht wirklich zu.

FEUER BEWAHREN - NICHT ASCHE ANBETEN. Der Choreograf Martin Schläpfer. Ein Film von Annette von Wangenheim. Deutschland 2015. 85 Minuten.

Die DVD erscheint am 7. Oktober 2016 mit einem ausführlichen zweisprachigen Booklet und Ausschnitten/Soli aus den Balletten „Alltag“ von Hans van Manen sowie „Deep Field“ und „Johannes Brahms - Sinfonie Nr. 2“, entstanden am Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg als Bonusmaterial.

 

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