„andropolaroid 1.1“ von und mit Yui Kawaguchi

„andropolaroid 1.1“ von und mit Yui Kawaguchi

Der Lichtwald als Glitzerwelt

Yui Kawaguchis „andropolaroid 1.1“ berührt in den Uferstudios

Vor fünf Jahren hat die gebürtige Japanerin Kawaguchi schon einmal tänzerisch Bilanz ihrer Immigration nach Europa gezogen. Nun stellt sie sich im Nachfolgestück „andropolaroid 1.1“ erneut dem Thema.

Berlin, 02/02/2016

Fabian Bleischs Lichtraum überwältigt. Wie Pflanzlinge einer Schonung hängen weiße Kurzneonstäbe in korrekten Reihen über der Szene des Uferstudios: aufsteigend nach rückzu die einen, abfallend von hinten nach vorn andere. Raffiniert gibt es in diesem zunächst monotonen Dickicht aus Licht auch noch Wellen, die per Steuerung Diagonalen oder Pyramiden entstehen lassen.

Auf Yui Kawaguchi im weißen Hosenanzug wirkt die Landschaft aus Lichtstrichen aufregend. Behend und biegsam eilt sie durch das verwirrende Spalier, stößt nirgendwo an. Stroboskope heben nur bestimmte Bewegungen heraus, weshalb sie im Flug zu stehen scheint, aus dem Stand an einem Ort am nächsten im Profil sichtbar wird, sich als multiple Persönlichkeit vervielfacht.

Doch es ist nicht nur die Bühnentechnik, die sie fasziniert. Auch auf Sibin Vassilevs Sound Design aus Geräuschen reagiert sie, ein Flüstern in Japanisch, ein Piepsen oder Knistern, das Plätschern von Wasser. Durch das Wechsellicht wird der Raum luzide, ist in steter Veränderung. Die Tänzerin springt, dreht hindurch, wölbt oder klappt ihren Körper, hockt oder taumelt.

Vor fünf Jahren, 2010, hat die gebürtige Japanerin Kawaguchi schon einmal tänzerisch Bilanz ihrer Immigration nach Europa gezogen. Dieses Solo „andropolaroid“, zu sehen auch in Berlin, brachte ihr den Kölner Tanzpreis ein. Nun stellt sie sich im Nachfolgestück „andropolaroid 1.1“ erneut dem Thema und wird wiederum zum Licht polarisierenden Menschenmaterial. Jener Lichtwald – ist er die erstarrte westliche Glitzerwelt, durch die die Tokioterin noch berührungslos läuft? Sind die Zitate verschiedener Tanztechniken die Reminiszenz dessen, was sie hier, in der Fremde, gelernt hat?

Offenkundig fühlt sie sich nicht unwohl in der ungewohnten Sphäre. Das ändert sich, als aus dem Plafond eine signalrote Joggingjacke fällt. Vom „Röslein rot“ singen in Popversion leise Kinderstimmen. Wann immer sich die Tänzerin dem Lichtkreis nähern und der Jacke bemächtigen will, plärrt der Song bedrohlich laut und schreckt sie zurück. Neugierig und ängstlich zugleich trippelt sie, zittert, springt schließlich beherzt auf das Kleidungsstück. Noch schmerzt es, wenn sie den Arm hineinsteckt. Als sie es überzieht, geschieht das verkehrt herum: Statt des Gesichts wuschelt ihr schwarzer Haarschopf aus der Kapuzenöffnung. Mit der richtigen Kleiderordnung eignet sie sich die fremde Haut an, wobei sich ihr Bewegungsduktus ändert. Was anfangs ganz unbefangen wirkte, unterliegt jetzt europäischen Ritualen. Als Marionette begrüßt sie unsichtbare Gäste, schüttelt soldatisch Hände, lächelt gezwungen, verbeugt sich geziert, verteilt in der Umarmung Küsschen rechts, links. Im Flackern des Lichts beschleunigt sich bei steter Wiederholung das Tempo bis zur sinnentleerten Mechanik. Stimmen verunsichern zusätzlich: Im Flackerraum ertönen japanische und deutsche Satzfetzen. „Weg“ hört man, „du stürzt“, „Stille“ oder „zu hell“. Das lässt die Figur zum Häufchen zusammensinken. Zu „scharfe Schatten führen ins Schwarz“ vollzieht sie einen ersten Akt der Befreiung aus dem Gefängnis des Lichtkreises: Sie setzt einen Leuchtstab in Schwingung, bricht damit die Starre der Raumkonstruktion auf. Da quillt Nebel aus dem Hintergrund, konturlos durchwandert die Tänzerin den Dunst, wird gar unsichtbar, scheint sich zu verflüssigen.

Als sie wieder aufscheint, steht sie zu sanften Klängen wie eingegossen in die rote Jacke, welkt, rankt, wächst wie eine Schlingpflanze. Erst als ein Störgeräusch einbricht, sprengt die Schlotternde den Zwang. Sie legt die Jacke ab und breitet sie liebevoll aus. Fast zärtlich schmiegt sie sich an den einstigen „Feind“, zieht ihn im Gang hinter sich her wie eine blutige Nachgeburt. Der Lichtkreis erlischt, die Tänzerin ist zurück in der Anfangswelt. Nach und nach lenkt sie mehr Stäbe aus, was dem Raum endgültig seine Strenge nimmt. Zu weichen Streicherbögen steht sie mit übergestreifter Jacke in der Mitte der Szene und ist im Begriff, einen der Leuchtstäbe zu umfangen. Das gänzlich zu sehen, verwehrt dem Besucher das verglimmende Licht. Er hat indes die Gewissheit, dass nach einstündigem Ringen Frieden in die Seele der Figur eingekehrt, sie im Fremden angekommen ist und es zu ihrem Eigenen gemacht hat. Yui Kawaguchi als formidable Tänzerin mit solider Technik vermittelt so spannend wie überzeugend wohl auch ein Stück Autobiografie. Das macht den Abend berührend und authentisch.

Bis 6.2., 20:30 Uhr, Uferstudios
 

Kommentare

Noch keine Beiträge